"TURANDOT" - 1. Mai 2012

Eigentlich sollte es nicht so schwer sein. Drei Rätsel lösen und man wird nicht nur Kaiser von China, sondern gewinnt auch noch die Hand einer ausgesprochen schönen Prinzessin. Nein, schwer sollte es nicht sein, wurde aber zahllosen Männern bereits vor Beginn der eigentlichen Handlung doch zum Verhängnis.

Die Musik, die Puccini dafür geschrieben hat, ist so schön wie besagte Prinzessin selbst, so emotional mitreißend, daß kaum jemand ungerührt aus dem Theater geht und streckenweise so mörderisch zu singen, daß es nicht jedem Künstler gegeben ist.

Mit der Turandot des Abends konnte ich nicht wirklich etwas anfangen. Catherine FOSTER ließ sowohl stimmlich, als auch in der Darstellung gerade jene Kälte und Distanziertheit vermissen, die Liu später besingt. Ihre Prinzessin gemahnte eher an einen grummligen Teenager, was sicher auch eine mögliche Interpretation wäre, wenn dem Ganzen nicht die notwendige Grandezza gefehlt hätte. Hinzu kommt, daß mir ihre Stimme, insbesondere in den etwas schrillen Höhen gar nicht liegt.

Carl TANNER gab den Calaf mit sehr viel Sendungsbewußtsein, aber das ist auch das Einzige, das zu bekritteln war. Es dürfte derzeit wenige Fachkollegen geben, die diese Partie stimmlich ebenso gut gestalten können und dabei derart entspannt wirken. Anstatt sich auf den stets gutsitzenden Spitzentönen auszuruhen und einfach ein gut gesungenes "Nessun dorma" abzuliefern, womit er vermutlich den begeisterte Applaus eines Großteils des Publikums hätte einfahren können, legte der Tenor viel Wert auf vokale Gestaltung. Der stets präzise, aber gefühlvolle Gesang und hier und da ein wirklich schöner Schwellton machten dieses Rollenporträt musikalisch so interessant. "Non piangere Liù" wurde da wirklich sanft gesungen (ja, das geht). [Einen Extrapunkt gibt es zudem für malerisches Herumliegen auf der Treppe im 3. Akt.]

Mit der Liù konnte Mirjam TOLA ein weiteres Mal überzeugen. Weit vom üblichen Händeringen und Säuseln zeigte sie eine selbstbewußte junge Frau, der man ohne weiteres abnahm, daß sie den weiten Weg hinter sich gebracht hatte, um Calaf zu finden, und dies nicht nur aus Loyalität einer Dienerin. Als dies brachte sie in ihren viel zu wenigen Momenten dem Zuhörer nahe und ließ dabei einen ausgewogenen musikalischen Vortrag hören.

Alexander TSYMBALYUK gab Timur glaubwürdig als alten Mann. Er zeichnete dies nicht allein in der Körperhaltung, sondern auch mit der Stimme, die streckenweise ganz ungewohnt klang. Natürlich läßt sich ein solch riesiges Organ nicht beständig bezähmen, und so wurde jeder Ausbruch zu einem musikalischen Feuerwerk. Diese Aufführungsserie bedeutete den Abschied von Alexander Tsymbalyuk als Ensemblemitglied, und auch wenn es nicht fair wäre, ihn für dieses Haus ganz allein behalten zu wollen, macht dieser Abschied schon irgendwie traurig. Laut aktuellem Plan wird er in der kommenden Spielzeit gar nicht in Hamburg zu hören sein, und so hofft man ein Wiederhören in der weiteren Zukunft.

Tenoral wirklich großartig besetzt waren die Minister. Paulo PAOLILLO (Pang) und Dovlet NURGELDIYEV (Pong) harmonierten ausgesprochen gut miteinander. Jeder exponiertere Ton wurde da genutzt, um die Stimme gekonnt zur Geltung zu bringen. Moritz GOGG als Ping gelang da nicht ganz musikalisch mitzuhalten. Spielfreudig und mit viel Witz waren aber alle drei. Peter MAUS sang einen schönstimmigen Altoum, und Jan BUCHWALD wußte als Mandarin durchaus beeindrucken.

Carlo MONTANARO ließ die PHILHARMONIKER HAMBURG eine teils wirklich überflüssige Klangwucht erzeugen. Puccinis Musik klingt bereits machtvoll und zudem emotionaler, wenn man das Orchester etwas zurücknimmt. Alle Sänger und den Chor zuzudecken, sollte kein unbedingt erstrebenswertes Ziel sein, es gelang meistens ohnehin nicht.

Der CHOR (Leitung: Florian CSIZMADIA) hatte eigentlich einen sehr guten Abend, kämpfte aber mit dem Dirigat. Anscheinend war die Zeichengebung nicht präzise genug oder aufgrund der örtlichen Gegebenheiten nicht überall gleich gut zu erkennen. Trotzdem gelangen die meisten der kollektiven Klangmomente ausgesprochen gut.

Gespielt wird die Inszenierung "nach" Gian-Carlo DEL MONACO, von der wohl nur noch Rudimente übrig sind. Intimität gibt es hier nicht. Liù und Timur liegen bis zum Ende auf der Bühne. Calaf und Turandot wird kein Moment des Alleinseins gegönnt. Ihr Kuß findet vor aller Augen statt.

Das Bühnenbild und die Kostüme von Peter SYKORA erinnern irgendwie an SF-Serien der späten 60er bzw. frühen 70er Jahre. Gespielt wird in einem Einheitsraum. Nur für die Ministerszene gibt es ein separates Bühnenbild, das aus strahlendweißen Wänden und ein paar Requisiten besteht. Der Chor verbringt die meiste Zeit auf Metallgestellen, die den Hof vor dem Palast umrahmen. Zum jenem Palast führt eine rotbraun (wohl vom Blut) gefärbte Treppe. Die darüberliegende Plattform und damit den Auftrittsraum des Altoum kann man bereits im 2. Rang nicht mehr richtig sehen, die Plattform am Ende der Treppe ab dem 3. Rang.

Eine Anmerkung sei noch gestattet. Es ist sicherlich verständlich, daß an den Kostümen nach der langen Zeit nicht mehr viel geändert wird, aber etwas weniger Schulterpolster für Calaf und etwas mehr davon für Turandot, wären diesmal nicht schlecht gewesen… AHS