"DER BAJAZZO" - 28. November 2012

Die Hamburger Kammeroper bringt immer wieder das Kunststück fertig, teilweise unbekannte Stücke oder eben wie hier Klassiker in neuem Gewand zu präsentieren, allerdings ohne die offenbar psychologisch sehr begabten Musikwissenschaftler zu verschrecken, die ganz genau zu wissen meinen, wie denn der Komponist das Werk in der heutigen Zeit auf der Bühne sehen möchte.

So spielt die Handlung nicht in Montalto, sondern in Civitavecchia, wo Nedda gleich zu Beginn von Canio mit dem Messer bedroht wird und sich dem Kommissar Montalto anvertraut, da sie Angst hat, von jemandem aus ihrem näheren Umfeld getötet zu werden. Nach anfänglicher Skepsis erklärt er sich bereit, ihr zu helfen, was ihm jedoch nicht gelingt. Diese Rahmenhandlung ist durchaus clever eingebaut und rückt Nedda mehr in den Fokus als sonst üblich. Sie hat auch mehr zu singen, da der Prolog nicht von Tonio, sondern von ihr und Montalto als Duett gesungen wird, dessen Text mit dem Ursprünglichen nichts mehr zu tun hat. Ich bin nun wahrlich kein Fan davon, in die Musik einzugreifen, aber das war wirklich interessant! Und auch sonst bietet diese Produktion von Andreas FRANZ (Regie) und Kathrin KEGLER (Bühne) eine sehr gute Personenführung und vermag voll und ganz davon zu überzeugen, sich öfters einen solchen Abend zu gönnen. Die geringe Auslastung in der besuchten Vorstellung war hoffentlich eine Ausnahme...

Es mag sein, daß Lukas NOERBEL (Canio) möglicherweise im lyrischen Fach (Mozart, Rossini) passable Leistungen bringen könnte, aber im Spintofach hat er m. E. nach nichts verloren. Er hat zwar, abgesehen von zwei Kieksern im Finale, alle Töne, bleibt aber eigentlich den ganzen Abend leidlich blaß, auch von der Darstellung her. Ich vermute allerdings, daß er eingesprungen ist, da er im Programmheft nicht auftaucht, und seine Homepage lediglich Termine für diese eine Woche aufführte.

Von ganz anderem Kaliber war seine Nedda, welche die junge Theresa SOMMER mit jugendlich-dramatischer Attacke sang. Sie machte den Zwiespalt zwischen der Angst vor, sowie der Dankbarkeit und Loyalität für Canio jederzeit greifbar und erwies sich als sehr präsente Darstellerin. Es bleibt zu wünschen, von ihr in Zukunft noch mehr zu hören.

Marius ADAM wußte sich als Tonio zu profilieren. Er sang mit gut sitzendem Material einen verzweifelt verliebten Mann, dem man eigentlich wirklich eine liebe Frau gönnen würde, wenn er nur nicht so obsessiv wäre...

Als leicht tuckiger Peppe machte Enrique ANDRADOS nachhaltig auf sich aufmerksam. Er ist ein wahrer Szenendieb, der seine Arie zu einem kleinen Highlight machte. Ich hätte ihn viel lieber als Canio gehört. Frank Dolphin WONG als Kommissar Montalo absolvierte seinen Part im Prolog ausgezeichnet und war ein sich der Rolle entsprechend angemessen im Hintergrund haltender Darsteller.

Am Pult des ALLEE THEATER ENSEMBLES waltete Fabian DOBLER sehr kompetent seines Amtes. Er erstellte auch die interessante Kammermusikfassung dieses Verismo-Schinkens für Violine, Cello, Kontrabaß, Klavier und Bandoneon. Die dichten Klänge der Streicher eines ausgewachsenen Orchesters fehlten so gut wie gar nicht. WFS