Die Entscheidung, anstelle von "Arabella" Janáceks "Jenufa" zu spielen, war wohl keine bloße Frage von Ersatz. Man hat sich am Hildesheimer Stadttheater sehr engagiert, um diese Produktion zu einer spannenden Kombination aus szenischer Umsetzung und Musik zu machen. Mit Erfolg!

Statt der vermutlich bekömmlicheren (und deshalb häufiger gespielten?) Prager Bearbeitung wurde eine (O-Ton Programmheft:) "von Charles Mackerras und John Tyrell veröffentlichte Neuausgabe der Brünner Urfassung" einstudiert.

Die Aufführung in deutscher Sprache läßt zwar manches atonal erscheinen, trägt aber wesentlich zum Verständnis der Handlung bei.

Dem Regisseur Peter PAWLIK gelingt es, den schmalen Grat zwischen Sozialdrama und - erwarteter - Folklore im gesunden Gleichgewicht zu meistern. Die Charaktere sind besser ausgearbeitet als beispielsweise in der Produktion von Smetanas "Verkaufter Braut".

Jenufa als selbstbewußte junge Frau ist dem trostlosen Leben ohne sichtbare Zukunftshoffnung letztendlich nicht gewachsen. Sie zerbricht an dem ihr vorbestimmten Leben. Laca, ein latenter Psychopath in der Tradition Turkur'scher Antihelden, bildet keinen Gegenpol zu Stewa - jung, beliebt, aber auch ein Verlierer - sondern eher ein hartes Abbild.

Üblicher Dreh- und Angelpunkt der Oper ist die Küsterin. Hier gab es einen Bruch an Intensität der Figuren. Deutlich wurde das für mich in der Szene, als die Küsterin den Entschluß trifft, Jenufas Kind zu töten. Ob es an der Personenregie oder an der Darstellerin lag, vermag ich nicht zu sagen, aber mir stellte sich deutlich die Frage nach dem Warum? für diesen Entschluß.

Vielleicht lag es auch am Bühnenbild. Rolf HÄUSNER versetzt die Handlung vor und in einen trostlosen Plattenbau. Vermutlich als Zeichen sozialen Elend in der Gegenwart, wobei außerachtgelassen wurde, daß so der Konflikt um das unehelich geborene Kind merklich entschärft wird.

Die musikalische Leitung des Abends oblag Werner SEITZER, der im Graben gemeinsam mit dem ORCHESTER DES STADTTHEATERS HILDESHEIM jede melodische Nuance aus den Noten kitzelte und stimmvolle, aber trotzdem exakte musikalische Bilder erzeugte.

Annegeer STUMPHIUS haucht Jenufa sowohl in der gesanglichen, als auch in der darstellerischen Interpretation empfindsam Leben ein. Sie versteht es jeden Bogen, jeden musikalischen Aufschrei umzusetzen. Ihre Stimme ist allen Anforderungen vollgewachsen und reagiert flexibel auf alle noch so ungewöhnlichen Konstellationen in der Musik. Anton KUHN lotet mit dem Laca gesanglich seine Grenzen aus, überschreitet sie aber nur dann wirklich, wenn er zuviel Druck auf die hohen Töne gibt. In der schauspielerischen Interpretation liegt er genau auf der Linie des Regisseurs, setzt dessen Ideen so um, daß der interessierte Zuschauer eine andere Deutung der Figur rasch verdrängt.

So paßt auch die letzte Szene ideal ins Konzept. Ein anderes Ende als diesen berührenden Moment, wenn Laca Jenufa auf deren stumme, aber nachdrückliche Forderung hin die Pulsadern aufschneidet, um sich dann verzweifelt zurückzuziehen, kann es nach all der Trostlosigkeit nicht geben.

Die Küsterin fällt hier zurück. Nicola MÜLLERS vermag kaum die Überpräsenz der Figur mit Leben zu füllen. Auch stimmlich bleibt sie meistens zu blaß, um die Bedeutung der Rolle deutlich zu machen.

Alfred KIM als Stewa ließ schönstimmigen, kraftvollen Tenorgesang hören und hatte sichtbar freudige an der oberflächigen Figur des Dorfmacho. Vadim VOLKOV (Altgesell) und Lea-ann DUNBAR (Jano) repräsentierten die hohe Qualität des Hildesheimer Ensemble am besten und seien hier stellvertretend neben einem Pauschallob für den Chor und die zahlreichen Nebenrollen genannt. Piet BRUNINX war als Dorfrichter eindeutig überbesetzt, was aber aufgrund seiner fundierten tiefschwarzen Stimme nicht nachteilig war. Die alte Buryja von Carin SCHENK-SCHMIDT nahm einem manchmal die Lust am Zuhören, was aber an der Rolle lag, weniger an der Sängerin.

Ein anspruchsvoller Opernabend, der vielleicht nicht jeden Geschmack traf, ganz sicher aber den meinen.

Schön wäre es, wenn man im Zuschauerraum das Schwatzen, Rascheln und Tuscheln während der Vorstellung, insbesondere während der Aktvorspiele unterlassen könnte. Es gibt Leute, die diese Art von Musik mögen, und die würden auch gern zuhören. AHS