"AIDA" - 2. Januar 2010

Da geht man nun schon seit fast zehn Jahren in die Oper, hat mehr als 120 verschiedene Werke von der Renaissance bis zur Moderne live gesehen und noch kein einziges Mal "Aida"... Diese Lücke schloß jedoch eine Aufführung am Theater Kiel.

Für die Inszenierung zeichnet Uwe SCHWARZ verantwortlich, dessen dortiger "Tannhäuser" mir nachhaltig in äußerst positiver Erinnerung geblieben ist. Einmal mehr präsentierte er sich als jemand mit außerordentlichem Gespür für beeindruckende Bilder und eine stets passende Atmosphäre. Es entstand eine Arbeit für Herz und Hirn. Schwarz verlegte das Ambiente in die Gegenwart. Aus Ägypten wurde ein fiktives Königreich, das sehr an die USA erinnert (der König trägt einen Texaner-Hut, Amonasro eine orange Uniform). Ein zentrales Element in dieser Produktion ist der Krieg, dessen "techno-phallischen" Errungenschaften die Gesellschaft während des Triumphmarsches mit 3D-Brillen in schicker Abendrobe auf einer überdimensionalen Gaze-Leinwand gen Publikum akklamierend bestaunt.

Nicht zuletzt sind es die Massenszenen, die sehr zu beeindrucken vermögen. Doch auch die Personenführung der einzelnen Charaktere gelingt sehr gut. Amneris z. B. hat nicht den Mut, in der Gerichtsszene, die komplett im Off stattfindet, Radames direkt vor dem Tribunal zu verteidigen.

Das Bühnenbild entwarf Norbert ZIERMANN. Mit Hilfe der Hebebühnentechnik, die hier sehr oft und effektvoll eingesetzt wurde, kreierte er eine Wasserillusion, die ich so noch nie gesehen habe. Eigenartig ist jedoch, daß im 3. Akt offenbar alle im Nil herumlaufen... Überdies gibt es wenige kleinere Fragezeichen, die allerdings angesichts des Gesamtbildes nicht ins Gewicht fallen.

Dorit LIEVENBRÜCKS entwarf die passenden Kostüme, von denen Amneris' Sportjacken-Abendkleid-Kombination jedoch schon nicht mehr unter "Geschmackssache" einzuordnen ist...

Besonders hervorzuheben, und so bislang noch nie erlebt, ist daß ein Regisseur es schafft, das Publikum zu einer ca. halbminütigen Stille zu animieren, die dem Finale unglaublich gut tut, und die man ohnehin viel zu selten genießen darf. Ein Stück ist noch lange nicht zu Ende, wenn der letzte Ton verklungen ist.

Marina FIDELI (Amneris) gefiel mir besser als in vorigen Rollen. Im Duett mit Aida fand sie doch den einen oder anderen fiesen Zwischenton, im Duett mit Radames jedoch hätte ich mir mehr Emphase gewünscht.

Ihre Rivalin Aida fand in Gweneth-Ann JEFFERS eine durchaus rollendeckende Verkörperung, wenngleich mir das "Oh patria mia" am Anfang zu spöttisch war. Nichts desto trotz ist sie eine tolle Darstellerin und vermag der Rolle einen eigenen Stempel aufzudrücken. Highlight des Abends war ihr Duett mit Anton KEREMIDTCHIEV, der sich seit seinem Lübecker Telramund stimmlich enorm weiterentwickelt hat und einen differenziert unerbittlichen Amonasro sang. Er fühlte sich sowohl in der Produktion wie in der Rolle sichtlich wohl und lief zu schauspielerischen und vokalen Höchstleistungen auf. Er konnte vergessen machen, daß er schon rein optisch wahrscheinlich nicht der Vater seiner Tochter sein kann...

Mit Sung Kyu PARK stand ein Radames zur Verfügung, der die Partie von einer sehr lyrischen Seite anging. Er sang im "Celeste Aida" ein berückend schönes piano auf dem B, welches er noch mit einem decrescendo krönte. Alles in allem jedoch fehlte es seinem Vortrag und auch seinem Schauspiel etwas an Biß. In lyrischeren Rollen wie Alfredo oder Rodolfo kann ich ihn mir sehr gut vorstellen!

Kemal YASAR sang einen im besten Sinne des Wortes grundsoliden und sicher ausbaufähigen Ramfis. Etwas zu undifferenziert war mir Kevin THOMPSONs König. Aufhorchen ließ Cornelia MÖHLER als Tempelsängerin, wohingegen Michael MÜLLER (Bote) reichlich blaß blieb. Außerdem waren da noch die von Aida offenbar betreuten drei Hunde, die von BUGS, PELLE und PAULE glänzend verkörpert wurden.

David MAIWALDs Dirigat mangelte es erheblich an Spannung und Brio. Die Massenszenen kamen teilweise fast belanglos herüber. Er hielt jedoch die sehr gut aufgelegten KIELER PHILHARMONIKER stets zusammen. Eigentlich ist Maiwald ja Leiter des KIELER CHORES, der hier zusammen mit dem EXTRA-CHOR erneut eine gute Leistung bot. WFS