Wenn es mich in der Pause einer Vorstellung nach einem Glas Wein verlangt, ist die Vorstellung in der Regel schlecht. An diesem Abend hätte ich auch zwei oder drei Gläser vertragen können...

Die Inszenierung von Christof LOY spielt hauptsächlich in einer Art Umkleideraum mit einzelnen Stühlen und einem Sofa (Bühnenbild Herbert MURAUER). Bei Bedarf kann auch noch eine Jalousie geöffnet werden, wodurch die Spielfläche aber nur unmaßgeblich erweitert wird, da der dortige Raum mit Gegenständen vollgestellt ist. Selbstverständlich gibt es weder einen Ort im Gebirge noch einen Platz vor der Stierkampf-Arena. Zwischendurch wird dann noch - von Sängern und Chor - getanzt (Choreographie Athol FARMER), eine Mischung aus Tango und Flamenco, was zum Verständnis des Stückes auch nicht weiter beiträgt. Vor allem deswegen nicht, da beim Beginn des 2. Aktes, wo ein Tanz musikalisch gefordert worden wäre, dieser nur sehr bedingt stattfindet.

Die Kostüme (Bettina WALTER) sind irgendwo in den fünfziger Jahren angesiedelt, die Damen tragen Abendgarderobe zur Arbeit in der Zigarettenfabrik, und am Schluß sind sowohl Chormännlein als auch -weiblein in Anzug, rote Krawatte und Hut zu sehen. Personenregie findet nicht statt, jeder tut, was er kann, was leider in den meisten Fällen ziemlich hilflos wirkt. Warum sich die Damen ständig die Stümpfe hochziehen müssen, ist das Geheimnis des Regisseurs. Bestimmt hätte man ein Vermögen mit dem Verkauf von Strumpfhaltern erzielen können.

Selbstverständlich werden die Übertitel nur dann eingesetzt, wenn der Text tatsächlich zur Regie paßt. So hat gemäß den Übertiteln der Chor am Anfang vom 3. Akt beispielsweise nur eine Zeile Text, da es ansonsten ja darum geht, daß man bei den Felsen nicht daneben treten sollte, und es gerade diese Felsen nicht gibt. Ich finde, Regisseure sollten sich wenigstens trauen, die Diskrepanz zwischen ihrer Inszenierung und dem Libretto dem Publikum deutlich zu machen.

Wäre der Abend musikalisch wenigstens adäquat gewesen, so hätte man über dieses traurige Inszenierungsdebakel hinweg sehen können. Aber auch dieser Trost blieb dem Publikum erspart. Das lag vorrangig an der indiskutablen Leistung des GÜRZENICH-ORCHESTERS KÖLNER PHILHARMONIKER, welches offenbar nicht in der Lage war, auch nur eine einzige Phrase fehlerfrei zu intonieren. Der CHOR fiel ständig auseinander, wobei der Herrenchor sich hierbei noch besonders auszeichnete. Ich habe schon einiges an schlechten Dirigentenleistungen erlebt, so etwas wie das Dirigat von Martin ANDRÉ jedoch noch nicht. Die einzelnen Instrumentengruppen schienen der Meinung zu sein, es handele sich um einen Wettbewerb, wer als erstes ankommt, und mehr als einmal kam es fast zu Totalausstiegen. Daß der Dirigent hierbei auch jegliches Gefühl für Bizets Musik oder auch nur das Mindestmaß an Koordination zwischen Bühne und Graben vermissen ließ, kam noch erschwerend hinzu.

Auch auf der Sängerseite gab es wenig erfreuliches. In der Titelrolle versuchte sich Paula RASMUSSEN, die sich leider weder in einer Weise bewegen konnte, die die Ausstrahlung Carmens erklären könnte, noch gar so sang. Für die Kartenarie fehlte die Tiefe, andernorts die Höhe, lediglich die Mittellage war nicht zu unangenehm. Glorreich unterstützt wurde sie von Claudia ROHRBACH (selten dürfte eine Frasquita sich so durch die Rolle gepiepst haben) und Molly FILLMORE (Mercedes mit vulgärem Klang). Micaela wurde von Lina TETRUASHVILI verkörpert, welche über einen Sopran verfügt, der für das Haus und die Rolle eindeutig zu klein ist. Gerade in der Arie war die Stimme dünn; irgendwelche Emotionen konnte sie auch nicht wecken.

Als Escamillo verursachte Harry PEETERS den zweitgrößten Lachkrampf meiner gesamten "Karriere" als Opernbesucherin. Der Sänger bewegte sich derartig steif, daß der Stier leichtes Spiel haben dürfte. Die Stimme klang dazu flach, die Höhepunkte wurden verschenkt, und es war weit und breit kein Bemühen zu erkennen, dem großsprecherischen Torero irgendwie gerecht zu werden...

Dieter SCHWEIKART (Zuniga) mühte sich um die richtige Intonation, meist jedoch vergeblich. Johannes PREIßINGER (Remendado) hatte nur wenig mehr Erfolg, bemühte sich aber wenigstens darstellerisch.

Wäre nicht der Don José von Sidwill HARTMAN gewesen, man hätte das Haus getrost in der Pause verlassen können. Als einziger der Hauptrollen gelang es dem Tenor, tatsächlich eine Figur aus Fleisch und Blut auf die Bühne zu stellen, und im Finale tatsächlich Momente der Ergriffenheit zu erzeugen. Er interpretierte José als Muttersöhnchen, welches offenbar nie gelernt hat, mit Zurückweisungen zu leben. Gesanglich liegen ihm insbesondere die dramatischeren Momente, wobei er auch diesmal das technische Meisterstück wagte, einen Schwellton an exponierter Stelle - hier beim Spitzenton der Blumenarie - anzusetzen. Das Duett mit Micaela bereitete vor allem deswegen etwas Schwierigkeiten, da aufgrund der kaum vorhandenen Partnerin die Stimme noch weiter als normalerweise notwendig zurückgenommen werden mußte. Ansonsten kann die gesangliche Leistung nur als großartig bezeichnet werden.

Immerhin gab es noch zwei weitere erfreuliche Darbietungen: Miljenko TURK stellte einen eleganten Dancaire auf die Bühne (schmuggelt der eigentlich Abendanzüge?), der über einen Bariton verfügte, den man gerne mal in größeren Rollen hören würde. Aus dem Opernstudio stammt Marc CANTURRI (Morales), der so lebendig spielte, daß es Spaß machte, ihm zuzusehen und eine ausbaufähige Stimme hören ließ.

Das ist dann doch vielleicht etwas wenig für eine "Carmen", oder? MK