"AIDA" - 22./23. Januar 2011

In Köln waren "Aida"-Wochen. Aufgrund der eigentlich ab dieser Spielzeit geplanten Sanierung des Kölner Opernhauses ist man hier zu einer Art Stagione-Prinzip übergegangen und spielt verschiedene Produktionen am Stück. Weshalb also nicht die Chance nutzen, sich Verdis ägyptische Oper mit zwei sehr unterschiedlichen Besetzungen zu Gemüte zu führen. Zwei Besetzungen, die sich in den Hauptpartien an Qualität in nichts nachstanden.

Besetzung 22. Januar 2011
Dalia SCHAECHTER trieb Amneris' Leidenschaft und Liebe bis hin zum Wahnsinn. Anfangs noch Schwärmerei für den Helden und Heerführer glitt ihre Figur immer tiefer in einen Wahnzustand, aus dem sie schlußendlich nicht mehr hinausfindet. Mit viel Mut zur Häßlichkeit nutzte der Mezzo gerade seine vielseitigen vokalen Möglichkeiten aus, um dieser darstellerischen Entwicklung auch eine musikalische Entsprechung zu geben. Das war, schlicht gesagt, ganz großes Kino - leidenschaftlich, inspirierend, einfach großartig.

Wenige Sängerinnen hätten dem wirklich etwas entgegen zu setzen. Adina AARON besitzt allerdings nicht nur alle stimmlichen Voraussetzungen für eine perfekte Aida, sie nutzte diese Fähigkeiten und ihre natürlich wirkende Begabung zum Schauspiel für ein ebenso beeindruckendes Rollenporträt. Selten habe ich eine Sängerin gehört, die den Zuhörer vom ersten Ton an so für ihre Sicht der Partie einnehmen kann, jeden mitreißt und sich dabei scheinbar wenig um gesangliche Konventionen schert. Traumhaft sicher fand sie für jede Phrase den perfekten Klang und war mit augenscheinlicher Begeisterung, ob bei der Auseinandersetzung mit Amneris oder beim Liebesduett mit Radames, bei der Sache.

Vsevolod GRIVNOV legte Radames nicht in der Tradition stimmkraftprotzender Rampensänger an, sondern gab dem Helden facettenreichen Charakter und zeigte dessen Zerrissenheit zwischen Liebe und Pflichtgefühl. Zudem saßen alle Töne sicher, klang die Stimme in allen Lagen perfekt. Die Ruhe und Selbstsicherheit, die der Tenor hier beim Singen ausstrahlte, beeindruckten. Die Szene mit Amneris im vierten Akt, von beiden Künstlern mit Leidenschaft und Verve fern der "normalen" Bühnenrealität vorgetragen, war definitiv einer der Höhepunkte des Abends.

Defizite zeigen sich einzig bei den tiefen Männerstimmen. Weder Roman POLISADOV als mißtönender Ramphis, noch Wilfried STABER als König oder Jorge LAGUNES als persönlichkeitsarmer Amonasro erwiesen sich als ihrer Rolle gewachsen. Da polterte es viel zu sehr. Jeder der Herren ließ rhythmische Ungenauigkeiten hören. Insgesamt enttäuschende Leistungen, die sich so gar nicht in das eigentlich positive gesangliche Gesamtbild einfügen mochten. Jeongki CHO dagegen wertete die Dreisatzrolle des Boten mit seiner ausgesprochen schönen Tenorstimme immens auf, und auch Kathleen PARKER als Priesterin punktete mit einer so warmen wie makellosen Stimme. Schade, daß man von diesen beiden jungen Künstlern nicht mehr hören konnte.

Besetzung 23. Januar 2011
Auch Hui HE verfügt über eine ausgesprochen schöne Stimme. Anders jedoch als ihre Kollegin am Vorabend gelang es ihr nicht mit letzter Konsequenz, Aidas verschiedene Charakterzüge wirklich glaubhaft zu machen. Zuviel Wert legte die Künstlerin auf absoluten Schönklang und vergaß dabei wohl hin und wieder die Darstellung der Figur. Musikalisch indes ließ sie makellosen Verdigesang hören, der, nur von dieser Warte betrachtet, die Begegnung mit diesem Sopran interessant machte.

Scott MACALLISTER von Haus aus mit einer kräftigen Stimme gesegnet, vergaß trotz aller (genutzten) Chancen zur Profilierung mit strahlenden, perfekt gesungenen Spitzentönen nicht, das eine oder andere Piano nicht. Sein Radames unterschied sich zu dem vom Vorabend durch eine Art aufgedrehten Übermut, der dem ägyptischen Heerführer ebenfalls gut zu Gesicht stand und so eine andere grundlegende Facette der Figur in den Vordergrund stellte, die Ernsthaftigkeit des Vortrags aber in keiner Weise beeinträchtigte. Gesungen wurde vom amerikanischen Tenor in allem textsicher mit guter Diktion und gewohnt souverän.

Jovita VASKEVICIUTE besitzt alle Voraussetzungen für eine gute Amneris. Spielfreude sowie die genaue gesangliche Zeichnung des Charakters standen ihr gut zu Gesicht. Leider zeigte sie zum Ende des Duetts mit Radames vor der Gerichtsszene deutliche Schwächen. Die anschließende Konfrontation mit den Priestern zeigte deutlich, wo die Grenzen ihrer stimmlichen Möglichkeiten liegen. Schade, denn davor war ihre Abendleistung makellos gewesen.

Mikhail KAZAKOV gab zumindest darstellerisch einen guten Ramphis. Sobald er allerdings zu singen begann, verflüchtigte sich der positive Eindruck augenblicklich. Keine Ahnung, wann ich zum letzten Mal eine derart ungepflegte, grobe Baßstimme gehört habe. Samuel YOUN enttäuschte als Amonasro mit einem recht unmotivierten, holperigen Auftritt. Wilfried STABER konnte sich als König wieder nicht profilieren, während Jeongki CHO als Bote und Kathleen PARKER als Priesterin den positiven Eindruck vom Vorabend mit großartigen Leistungen bestätigten.

CHOR und EXTRACHOR (Leitung: Andrew OLLIVANT), denen zum Triumphmarsch ein Auftritt durch den Zuschauerraum beschert wurde, hatten an beiden Abenden mit der einen oder anderen Unwegbarkeit aufgrund der Inszenierung zu kämpfen, meisterten ihre Sache dafür dann aber relativ gut.

Will HUMBURG wurde vom Publikum für sein Dirigat jeweils frenetisch gefeiert. Nichtsdestotrotz kam es an beiden Abenden zu der einen oder anderen Unstimmigkeit zwischen Graben und Bühne. Das GÜRZENICH-ORCHESTER KÖLN spielte unter seiner Leitung soliden Verdi, ohne daß man von besonderen Akzente oder einer inspirierten Interpretation überrascht wurde. Ein großes Plus waren die Aida-Trompeten, die an beiden Abenden fehlerfrei spielten.

Regisseur Johannes ERATH wollte augenscheinlich wohl eigentlich lieber Verdis "Don Carlos" inszenieren. Von der Stückwahl des Kölner Opernhauses, namentlich "Aida" ließ er sich indes nicht beirren. Er ließ Ägypten Ägypten sein und verlegte die Handlung in ein katholisches Umfeld mit Papst und Kardinälen, mit Aida im Novizengewand und anderen Spielereien. Leider übersah er dabei, daß es einer solchen Hervorkehrung des Priesterlich-Katholischen gar nicht bedurft hätte. Verdis Abneigung gegenüber der Kirche ist auch in "Aida" gar nicht zu überhören, Ramphis als manipulativer klerikaler Charakter deutlich musikalisch gezeichnet. Wer es sehen bzw. hören will, dem wird es auch in einem altägyptischen Umfeld nicht entgehen.

Diese Inszenierung erzählt viel über Tod, Propaganda, die katholische Kirche, Ausgrenzung einzelner Personengruppen, dem Erzeugen von Heldenfiguren, über Liebe, Obsession, Konkurrenz - aber leider zu wenig über die eigentliche Geschichte. Der Regisseur hat teils großartige Bilder gefunden, die nur leider allzu oft außerhalb des eigentlichen Kontextes lagen. Andererseits ließ er den Sängern viel Freiraum für Gestaltung, so daß an beiden Abenden doch recht unterschiedliche Interpretationen der Beziehungen der Figuren untereinander zu sehen waren. Dies und so grandiose Momente wie die bereits erwähnte Amneris-Radames-Szene zeigten, daß da eigentlich mehr sein könnte als reine Provokation von Publikumsreaktionen. Die Intension, die Geschichte rückblickend aus der Sicht einer gealterten Amneris zu erzählen, ging indes leider völlig unter.

Die Kostüme von Christian LACROIX enttäuschten. Sicher, die Priestergewänder und auch das Papstgewand des Königs gaben in ihren farbenfrohen Varianten ein beeindruckendes Bild ab, doch bereits das erste Kostüm von Radames wirkte eher wie ein Schlafanzug, und letztlich sollte jemand, der sich sein Leben lang mit Mode beschäftigt hat, in der Lage sein, Kostüme zu schaffen, die für beide Besetzungen gleichermaßen kleidsam sind.

Kaspar GLARNER entwarf zu alldem ein Bühnenbild aus grauen Wänden, die in unterschiedlichen Situationen zur Seite gefahren wurden, um einen Blick auf verschiedene, recht farbenfrohe Installation das ein ums andere Mal auf einem fahrbaren Podest freizugeben. Graue Wände, die während des Aida-Radames-Duetts im Nilakt gedreht wurden und schließlich für die Schlußszene der leeren Bühne wichen. Inspirierend ist etwas anderes.

Schlußendlich zeigte diese Produktion, wie stark doch ein gutes Ensembles (oder in diesem Fall zwei davon) jenseits aller Regieideen und grauen Bühnenbilder Verdis Musik positiv erlebbar machen kann. Das nenne ich eine glückliche Hand bei der Besetzungspolitik. AHS