Ab der nächsten Saison wird es am Lübecker Stadttheater einen neuen Intendanten geben.

Marc Adam hat zuvor das Theater in Rouen geleitet und sich bereits vor Antritt seines neuen Posten dadurch ausgezeichnet, daß er der Ansicht war, Großteile von Musiktheater- und Schauspielensemble entlassen zu müssen. Anhand der - auch an dieser Stelle zu lesenden Kritiken der Spielzeit 1999/2000 - sicher alles andere als eine nachvollziehbare Entscheidung.

Adam äußerte auf der Pressekonferenz, daß es ihm darauf ankomme, Ensembletheater zu machen, sowohl in Oper als auch Schauspiel. Da erscheint es überaus logisch, erst einmal gewachsene Ensembles auseinander zu reißen. Adams Begründung hierfür, mit den vorhandenen Kräften könne er nicht die Art von Theater machen, die er sich vorstelle, ist generell nachvollziehbar; nicht jedoch, wenn man sich den Spielplan der neuen Intendanz ansieht.

Da soll es "I verspri Siciliani", "Tod in Venedig", "Cendrillon", "Land des Lächelns", "Kullervo", "Elektra", "Mephistos Himmelfahrt" und "Cavalleria rusticana" / "I Pagliacci" geben, was selbstverständlich alles typische Ensemblestücke sind. Auch wird er, auch nach eigener Aussage, wohl kaum geeignete Sänger fest an das Haus binden können, die in der Lage sind, eine Elektra oder einen Turiddu und Canio zu singen, ganz zu schweigen von einem Aschenbach oder den gesamten "Vespri"-Hauptrollen (Procida!, Montfort!, Arrigo!!, Elena!!!), an denen sich größere Häuser schon selbst mit hochkarätigen Gästen die Zähne ausgebissen haben.

Die verbleibenden Sänger der vorherigen Intendanz, Angela Nick, Roberto Gionfriddo, Patrick Busert, Mark Schnaible und Klaus Esch, die ich alle sehr in den Rollen schätze, in denen ich sie bisher gehört habe, werden anhand dieses Programms größtenteils entweder überfordert werden, sich mit Kleinstrollen zufrieden geben müssen, oder gar nichts zu tun bekommen. Auch die Mitteilung, daß sich Adam für die eine oder andere Besetzung Kräfte von der Hochschule holen will, finde ich bedenklich. Wieviele Rollen gibt es in den genannten Stücken, die man guten Gewissens Gesangsstudenten überlassen kann, ohne diese auf Dauer zu schädigen?

Auch stimmt es mich mehr als bedenklich, daß Adam nicht in der Lage gewesen ist, obgleich er ja Ensemble-Theater machen will, einen einzigen Sänger- oder Schauspielernamen von neuengagierten Künstlern zu benennen. Es wurde hier auf entsprechende Nachfragen immer nur auf eine zusätzliche Pressekonferenz verwiesen, welche noch stattfinden solle. Anhand der in der Pressemappe befindlichen Aufzählungen der Leitungsteams mit zahllosen N. N. bei Regisseuren, Ausstattern und auch Dirigenten der einzelnen Produktionen (nur "Vespri" und "Cendrillon" sind hier bereits vollständig) drängt sich hier die Vermutung auf, daß auch die Auswahl von Sängern nicht richtig voran geht, weil sich die richtigen Kräfte nicht finden lassen, die sich in das vollkommen schwammige Konzept der neuen Intendanz einfügen würden.

Operette soll als besonderer Schwerpunkt in jeder Spielzeit mit zwei Produktionen bedient werden. Auch sollen unbekannte Operetten am Klavier vorgestellt werden. Zunächst einmal hätte ich unter diesen Umständen sicherlich kaum die erfahrensten Operettensänger gehen lassen. Zum anderen gibt es in Lübeck die "Sommeroperette", die bereits langfristig geplant in diesem Sommer "Land des Lächelns" spielt. Der Vertreter dieser Einrichtung erlaubte sich den Hinweis, daß eine Absprache vielleicht nicht verkehrt gewesen wäre, wurde jedoch mit deutlicher Arroganz, ohne wirklich eine Antwort zu erhalten, beschieden. Wieviel Lehár verträgt eine Stadt wie Lübeck eigentlich?

Insgesamt wurde während der Pressekonferenz einiges deutlich. Adam hat für den Schauspielbereich einige Leute um sich scharren können, die durchaus ihre Ideen verkaufen können, vom Opernbereich, aus welchem Adam ja angeblich selbst kommt, scheint er jedoch herzlich wenig Ahnung zu haben.

Symptomatisch war für mich übrigens die Art der Vorstellung seiner Mitarbeiter. Die wenigen von der alten Intendanz übrig bleibenden Personen, wurden gerade eben mal namentlich oder auch gar nicht vorgestellt, während bei den Neulingen ausreichend Raum war für Angaben zum Werdegang. Ebenso symptomatisch war das Fehlen des GMD Erich Wächters bei dieser von mir im höchsten Maße als peinlich empfundenen Veranstaltung. Er wird das Haus übrigens verlassen. Ich kann es ihm nicht verübeln.

Nachtrag, Mai 2000 Eine Pressekonferenz, in welcher die neuen Ensemblemitglieder bekanntgegeben werden sollten, hat bis zum heutigen Tage nicht stattgefunden (oder man hat versäumt, mich davon zu informieren).

Stattdessen gab es eine Spielplanübersicht, in welcher auch die Ensemblemitglieder vorgestellt werden, ohne daß dies die oben angesprochenen Fragen beantwortet. Die Sänger sind allesamt jung, stehen noch am Anfang.

Auch die Mischung der Sänger sowie die Aufmachung der Sängerseite der Spielzeitübersicht läßt die Stirn runzeln: Ein Sopran, zwei Mezzosoprane, drei Sängerinnen, bei denen sich aus der Kurzbiographie nicht ergibt, was sie denn singen, fünf (!) Bässe, zwei Tenöre (beide lyrisch), ein Bariton sowie ein Sänger, dessen Kurzbiographie ebenfalls nicht hergibt, was er denn singt. Ich gratuliere! M.K.