Drei weniger eins

Weshalb in dieser Produktion nur zwei Teile von Puccinis "Il Trittico" dargeboten werden, ist dem Programmheft nicht zu entnehmen und wurde auch sonst nirgendwo propagiert. "Suor Angelica" gibt es nicht, was bedauerlich ist, denn Anthony PILAVACHI (Inszenierung) scheinen die ernsten Themen mehr zu liegen als das heitere Treiben.

So besticht "Il Tabarro" mit einer klaren, beinahe minimalistischen Personenführung. Die Beziehungen der Figuren sind eindringlich ausgearbeitet. Die düstere Atmosphäre - unter einer Seinebrücke (?) - wird durch farbige Akzente in den Kostümen (Pierre ALBERT) z.B. Giorgettas knallroter Bluse aufgehellt. Einziger Ausrutscher hierbei: Micheles schmutzig-orangefarbener Pullover und die ebenso gefärbte Ballonmütze.

"Gianni Schicchi" dagegen ist ein bonbonfarbenes Meer scheußlichster Kostüme, völlig überspannter Charaktere und überzogener Regie inklusive wirklich jedes dummen Theatergags (Gheradino in den Ganztags-Kindergarten!). Die Farben himmelblau sowie sonnengelb sind vorherrschend. Sie machen die grelle, aufgescheuchte Welt der Familie von Buoso Donati (tapfer und sehr echt tot wirkend: Martin TUCHOLSKI) noch schriller.

Beide Bühnenbilder (Piero VINCIGUERRA) kommen mit wenigen Requisiten aus. Störend wirkt an der Umsetzung beider Stücke der laut Programmheft alles umspannende, weiße Fernsehschirm als Bühnenumrandung. Er wird eigentlich nur zweimal bewußt eingesetzt, was für ein solches als tragend gedachtes Bühnenelement zu wenig ist.

Absoluter Höhepunkt ist in dieser Produktion allerdings Micheles Frage: "Dove il mio tabarro?". Er trägt ihn.

Natalia KOSTENKO liegt Giorgetta besser in der Kehle als die Giovanna D' Arco. Sie kokettiert mit den Herausforderungen der Partie und bringt ihre schöne Mittellage wohltuend zum Klingen. Giorgetta ist hier nicht nur als Micheles untreue Ehefrau. Sie fordert mehr vom Leben, als es ihr bieten kann, sehnt sich nach romantischer Liebe und Befreiung aus der Eintönigkeit.

Ob Luigi diese Sehnsüchte erfüllen kann, bleibt bei der Besetzung mit Mario DIAZ zu bezweifeln. Zwar klingt der Tenor nicht so kurzatmig wie bei der September-Premiere, gut waren die gesangliche und die darstellerische Leistung wieder nicht. Ob der unschön, bar jeder Linie geführten Stimme ist es bitter anzuhören, was Herr Diaz u.a. Luigis Arie antut. Da tönt zu hoch oder zu tief aus der tenoralen Kehle; von der gepreßten Mittellage ganz zu schweigen.

Schade dagegen, daß Roberto GIONFRIDDO nicht mehr Gelegenheit bekommt, sich zu profilieren. Tinca ist für jemanden mit soviel übersprühenden Temperament viel zu klein. Vorbildlich die saubere Stimmführung des jungen Sängers, die die schon recht große Stimme in allen Lagen gut klingen läßt.

Angela NICK ist eine verführerische, lebenslustige Frugola, die den armen Talpa (solide: Marco STELLA) mühelos um den Finger wickelt. Luxus war die Besetzung des Liederverkäufers mit Patrick BUSERT, den man zwar nicht zu Gesicht, seinen harmonisch klingenden Tenor aber zu Ohren bekam. Edel, edel!

Gerard QUINN bewies in beiden Stücken hohe Virtuosität und szenische Meisterschaft. Gesanglich wiederholte sich der überaus positive Eindruck aus der "Giovanna D' Arco". Man kann sich nur weiter wundern. Die akkurat geführte Stimme mit dem ebenmäßigen Klang und dem attraktiven Timbre empfiehlt sich für Verdi ebenso wie für großen Verismo-Partien.

Sein Michele macht nach außen hin einen abwesenden, beinahe desinteressierten Eindruck. Er versteht Giorgettas Drang nach Freiheit nicht, bietet ein Leben an seiner Seite ihr doch alles und genug. Nur in wenigen Momenten blitzen Gefühle wie Eifersucht, Besitzanspruch und sogar Zuneigung zu Giorgetta auf (z.B. in "Nulla! Silenzio!").

Der Schicchi ist das absolute Gegenteil: extrovertiert, lebenslustig und sehr italienisch mit einem Hauch Ian Richardson. Es macht Spaß zuzusehen, wie dieses Schlitzohr Donatis Anverwandte an der Nase herumführt. Bemerkenswert diese Wandlung während einer Pause von vielleicht 25 Minuten.

Terje ANDERSEN (Rinuccio) fehlt es im wesentlichen an Präsenz und stimmlichen Ausdrucksmöglichkeiten. In dem sehr unglücklichen Kostüm erinnert er an den berühmten Clown Popow, ohne dessen humoristisches Talent zu besitzen. Weshalb es ihm gelingt, die Familie von Schicchis Fähigkeiten zu überzeugen, bleibt offen. Chantal MATHIAS besitzt als Lauretta den Vorteil des unvorteilhaften Kostüms. Ansonsten fiele sie nur durch ihre leidenschaftslose Interpretation von "O mio babbino caro" auf.

Buoso Donatis schrille Verwandtschaft beinhaltet die gesamte Bandbreite musikalischer Darstellung und Sangeskraft. Großartig ist Angela NICK als Zita. Aus dem vom Regisseur verpaßten Etikett "komische Alte" entsteht eine spannende Charakterstudie mit angenehmen Mezzo. Auch Annette PFEIFER (Ciesca) und Steffen KUBACH (Marco) sowie Margrit CUWIE und Roberto GIONFRIDDO als Nella und Gherardo machen das Beste aus den bunten Übertreibungen und dem planlosen Gewusel. Herrlich ist die von zukünftigen Wohlstand träumende Gesellschaft charakterisiert.

Marco STELLA (Betto) fällt gegenüber dem "Tabarro" ab. Er erinnert - Zitat MK - stark an einen verunglückten Bauarbeiter-Schlumpf. Eine Zumutung ist der Simone von Greg RYERSON. Da poltert und holpert es in der Stimme, die vielleicht einmal ein Baß war. Auch das penetrante Sich-in-den-Vordergrund-drängen strengt an.

Till SCHULZE bemüht sich als Notar, während Andreas KRUPPA als Arzt wieder ein Ärgernis ist.

Das PHILHARMONISCHE ORCHESTER unter der Leitung von Roman BROGLI-SACHER liefert in beiden Teilen eine eher bedrückende Leistung ab. Es scheppert im Blech wie schon lange nicht mehr, und gerade im ersten Teil des Abends war man im Graben mit der Bühne uneins. Man kann sich allerdings des Eindrucks nicht erwehren, daß diese Abendleistung wesentlich mit dem Herrn am Pult zu tun hat.

Alles in allem ist diese Produktion für ein Stadttheater eine angemessene Leistung. In Lübeck aber geht es noch besser. Das weiß man, und deshalb empfindet man ein bißchen Wehmut. AHS