„ZÉMIRE ET AZOR“ - 13. April 2003

Nach dem „Rotkäppchen“ in der vergangenen Saison zeigt das Lübecker Theater eine weitere selten gespielte, französische Märchenoper.

André Ernest Modeste Grétry komponierte äußerst inspirierte Musik, die wie ein Bindeglied zwischen Gluck und Mozart wirkt. Zeitweilig hat man das Gefühl einer frühen, aber unbekannten Mozart-Oper zu lauschen. Die Oper des Belgiers wurde 1771 im Schloß Fontainebleau uraufgeführt und Madame Dubarry gewidmet. Das Libretto stammt von Jean Francois Marmontel. In Lübeck sang man französisch und sprach die Dialoge auf deutsch, was durchaus praktikabel ist.

Es ist auch generell nichts dagegen zu sagen, wenn ein Intendant am eigenen Haus inszeniert. Peter Mussbach tut das in Berlin, Götz Friedrich hat es ebenso wie August Everding getan - und nun wagte es Marc ADAM.

Herausgekommen ist eine erstaunlich solide Arbeit, die vielleicht in einigen Punkten bei der Personenregie zu verbessern wäre, aber sonst sehenswert ist. Er erzählt die klassische Geschichte von der schönen Zémire, die um ihren Vater zu retten, sich in das Schloß von Azor (erst Tier, dann Prinz) begibt und diesen erlöst, ohne in Disney-Kitsch abzugleiten oder sich zu sehr an Cocteaus Meisterwerk zu orientieren.

Um die Diskrepanzen der letzten Jahre aufzulösen, sollte Marc Adam vielleicht seinen Intendanzposten aufgeben und statt dessen in Lübeck Opern inszenieren.

Am besten weiterhin gemeinsam mit Michael GODEN, der in dieser Variation der Geschichte über „Die Schöne und das Tier“ für das märchenhaft schöne Bühnenbild verantwortlich war (Wolken en masse - und eine sogar mit richtiger handlungstragender Rolle). Angenehm waren die historischen Bühnenbilder, die wirkungsvoll eingesetzt, interessante räumliche Effekte ergaben.

Die Kostüme von Pierre ALBERT sind kleidsam, wenn man mal von Azors Kleidung absieht. Offenbar hat der auf ihm lastende Fluch auch jegliches Farbempfinden ausgelöscht, denn eine pinke Hose zu einem hellroten Wams - das muß nicht sein!

Die musikalische Farbenfreude war dagegen willkommen. Frédérique FRIESS war kurzfristig als Zémires Gesangsstimme für die erkrankte Lisa TJALVE eingesprungen, die ihrerseits wiederum Zémire spielte und sprach. Vom Bühnenrand gab sie der Figur akkurat, aber beseelt Format. Die Koloraturen perlten klar. Die junge Künstlerin verfügt bereits über ein erstaunlich ausgereiftes Material von großer Schönheit.

Roberto GIONFRIDDO (Azor) führte seine, eigentlich für dieses Fach längst zu große Stimme, schlank und phrasierte so wortdeutlich, daß man, selbst wenn das eigene Französisch eingerostet ist, jedes Wort verstand. Trotz der eher skurrilen, denn erschreckenden Kostümierung war er in jeder Sekunde präsent, sowohl als Tier als auch im Finale als Prinz. Eine kluge Entscheidung, gerade ihm diese Partie anzuvertrauen. Leider wird der Sänger am Saisonende das Theater verlassen.

Sehr rollenkonform und musikalisch ausgereift waren Annette PFEIFER (Lisbé) und Chantal MATHIAS (Fatmé) als Zémires Schwestern. Während Lisbé hauptsächlich ihren Sprachfehler und ihre Preziosen pflegte, stopfte Fatmé permanent Süßigkeiten in sich hinein, ohne sich beim Singen zu verhaspeln.

Steffen KUBACH fehlte leider noch immer die stimmliche Geläufigkeit für ins Mozarteske gehenden Gesang. Sein Sander, Zémires Vater, besaß aber im Spiel die gewohnte Präsenz und Präzision. Dies ging Thomas BURGER (Ali) alles ab. Neben seinem leider völlig aus den Bahnen gehenden, mit einem meckernden Timbre versehenden Gesang war auch sein Französisch beklagenswert schlecht.

Grandios spielte das PHILHARMONISCHE ORCHESTER unter der Leitung von Ludwig PFLANZ. Es gelang ihnen, die Schönheit der Musik Grétrys zu transportieren und das Publikum dafür zu begeistern (Anmerkung: Was in einer Sonntagnachmittagsvorstellung nicht ganz einfach ist). AHS & MK