„DER WOLF KOMMT“ - 23. Mai 2003

Der Komponist Hans Gefors und seine Librettistin Kerstin Klein-Perski haben sich eine so starke wie leider immer wieder aktuelle Thematik für ihre Oper ausgesucht.

„Der Wolf kommt“ erzählt die Geschichte einer Geiselnahme. Ein Mann, Lyckos, dringt in einen Kindergarten ein, nimmt die Kinder und ihre Erzieherin Lollo als Geiseln. Vor dem Gebäude sammeln sich die besorgten Eltern. Die Polizei und Presse erscheinen. Der Innenminister versucht, mit markigen Sprüchen politischen Nutzen aus der Situation zu ziehen.

Viele gegensätzliche Interessen, viel Potential für dramatische zwei Stunden auf der Bühne.

Leider wird das meiste davon durch die Regie verschenkt. Thomas MITTMANN zeichnet eine dunkle Welt, in der selbst der Kindergarten, zumindest das, was davon zu sehen, trostlos wirkt. Allein die Lichtregie durchbricht hin und wieder das s/w-graue Einerlei. Die Kulissen (Ausstattung: Wolfgang BUCHNER) sind zweckmäßig gestaltet, aber eben viel zu trist.

Weshalb Lyckos sich in dieser Welt erst als Geiselnehmer versucht, anstatt ob der Tristesse gleich Selbstmord zu begehen, ist nur eine der offenen Fragen. Warum sollte der Kindergarten für ihn interessant sein, wenn es dort nicht besser ist als draußen?

Auch oder gerade durch die Personenregie geht viel verloren. Weder Lollo noch Lyckos besitzen die für ihre Rolle so wichtige Ausstrahlung. Wenn hier den beiden Darstellern die notwendigen Fähigkeiten fehlen, die in der Musik befindliche Intensität dem Zuhörer zu übermitteln, ist sicherlich der Regisseur gefragt. Man sieht auf der Bühne einen Geiselnehmer, der keinerlei Gefährlichkeit ausstrahlt. Alle Konfrontationen verpuffen in einer Atmosphäre der Langeweile. Es bleibt dem Zuschauer völlig verborgen, welche Entwicklungen in Lyckos und Lollo vorgehen, so daß sie sich ineinander verlieben. Die Vielzahl der Szenen zwischen den beiden dehnen sich schier unendlich.

Thorsten SCHARNKE (Lyckos) ergänzt den negativen darstellerischen Eindruck mit einer indiskutablen gesanglichen Leistung. Einzig in den tieferen Lagen gelingt einiges, wenn auch nicht alles. Ab der Mittellage aufwärts ist es eine Qual ihm zuzuhören. Die Lollo von Franziska HIRZEL hat dieser schwachen Leistung wenig entgegenzusetzen. Ihr fehlt es an Temperament. Selbst Lollos Ausbrüche wirken platt und halbherzig. Doch zumindest gelingt es ihr, fast alle gesanglichen Anforderungen der Rolle zu bewältigen.

Es ist beinahe amüsant wie die beiden von Lydia ESSL an die Wand gespielt werden. Die junge Dame gibt Marie, dem einzigen Kindergarten-Kind, das man auf der Bühne zu sehen bekommt, einen rollenkonform eigensinnigen Charakter. Großartig ist auch Angela NICK als Maries Mutter. Stimmliche und darstellerische Potenz „at its best“. (Wir werden sie vermissen.)

Beeindruckend zeichnet Gerard QUINN als Innenminister Paske das realistische Bild eines charismatischen Politikers mit Machtallüren, dem menschliche Gefühle noch nicht ganz abhanden gekommen ist, der sie aber in entscheidenen Momenten wegwischen kann. Die musikalische Umsetzung gelingt ihm trefflich.

Gut sind auch die kurzen Auftritte von Dmitri GOLOVNIN (Adjutant). Ein Demagoge in der Ausbildung mit interessantem Tenor und gepflegter Gesangstechnik. Der Polizeidirektor Hundt (dessen Kostüm meine Begleitung an einen amerikanischen Postboten erinnerte) schleppt und poltert sich in der Interpretation durch Greg RYERSON durch den Abend.

Die Musik kann in ihrer Strukturierung sicherlich kontrovers beurteilt werden. Jenseits jeder Diskussion liegt aber die hervorragende Leistung der LÜBECKER PHILHARMONIKER unter der Leitung von Frank Maximillian HUBE.

Exzellent diesmal CHOR und EXTRACHOR des Theaters (Einstudierung: Joseph FEIGL). Sehr homogen ist hier insbesondere die Gruppe der Eltern.

Ein Abend, der zwar nicht alle Erwartungen erfüllt, das Publikum aber, so es die Bereitschaft besitzt, sich auf Thematik und Musik einzulassen, fordert. AHS