"ZAR UND ZIMMERMANN"- 5. März 2004

Ich mag dieses Stück nicht sonderlich. In meiner Teenagerzeit hätte mir beinahe eine unerträglich trutschige Vorstellung dieser deutschen Spieloper den Spaß an Oper vollkommen genommen. In Lübeck ist es gelungen, einen ersten Schritt in Richtung Heilung dieses Traumas zu unternehmen.

Die Inszenierung von Wolf WIDDER ist ansehnlich mit einigen hübschen Ideen im ersten und dritten Akt, der zweite hängt zeitweilig allerdings ein wenig durch. Die Personenführung war passend, manchmal sogar clever und bot so manche Überraschung (sehr amüsant die Tanznummer der russischen drei Herren bei Maries Brautlied). Widder entgeht dem Problem, was die deutsche Spieloper häufig hat, nämlich das natürliche Sprechen Dialoge dadurch, daß er einen Fremdenführer im heutigen Zaandam (von Rainer LUXEM mit holländischem Akzent und viel Präsenz gespielt) den Fortgang der Handlung referieren läßt. Trotz des Eingriffs, den dies in die Struktur des Stückes darstellt, gewinnt die Oper dadurch deutlich an Tempo.

Ausstatter Michael GODEN kommt ausnahmsweise ohne eine einzige Wolke aus, hat aber ein sehr hübsches Hafenbühnenbild geschaffen. Die Kostüme sind kleidsam und würden auch eigentlich niemanden bloßstellen. Der Ausstatter kann schließlich nichts dafür, wenn sich einer der Sänger nicht darin bewegen kann.

Hierbei handelt es sich um den Chateauneuf von Kenneth ROBERSON. Der Mann war schon im „Vogelhändler“ durch sein permanentes selbstgefälliges Herumgetänzel schwer erträglich. Wäre es jedoch nur das gewesen, dann hätte man einfach die Augen schließen können, doch der dünnen, höhenschwachen Stimme, die geradezu das „flandrische Mädchen“ hinrichtete, konnte man so nicht entkommen.

Warum Iwanow hier Grund zur Eifersucht haben sollte, ist nicht nachzuvollziehen. Patrick BUSERT stattete die Figur mit viel Charme und spürbare Spielfreude aus, lieferte mit Abstand die beste Tanzdarbietung des Abends ab (und das schließt die extra engagierten Tänzer mit ein) und war einfach in jeder Sekunde „da“. Gesanglich war der Auftritt ebenso erfreulich mit schönen lyrischen Passagen und durchdachten Phrasierungen der schön timbrierten Stimme.

Ebenfalls auf der Habenseite des Abends ist Hartmut BAUERs van Bett zu verbuchen. Er war ein wunderbar aufgeblasener Bürgermeister, ohne dabei jemals aufgesetzt lustig zu wirken; die Komik schien aus einem natürlichen Sinn für Timing zu entstehen. Einer der ganz tiefen Töne wurde aus dem Orchestergraben per Instrument gedoubelt, wofür der Sänger sich artig bedankte. Eigentlich war diese Hilfe jedoch nicht wirklich nötig, die stimmliche Leistung war insbesondere in den schnellen Passagen ohne Fehl und Tadel.

Dieses Niveau hielt Stefanie KUNSCHKE als Marie. Die Sängerin hat die faszinierende Gabe, auch in den höheren Regionen ihrer Stimme noch wortdeutlich zu sein, wobei die Stimme immer rund und frei von Schärfen bleibt. Auch spielt sie äußerst charmant ein Mädchen, das ganz genau weiß, was sie will.

Weniger Gutes kann man über Stefan HEIDEMANN als Zar Peter feststellen. An den dramatischeren Stellen begann er zu brüllen, als wollte er ein wagnerianisches Orchester übertönen, in den lyrischen Momenten kämpfte er mit der Intonation und während seiner Arie im dritten Akt kam es zu etlichen rhythmischen Unsicherheiten.

Greg RYERSON fiel als Lord Syndham allenfalls dadurch auf, daß sein Akzent im Englischen nicht sehr britisch wirkte, während Marco STELLA die Rolle des Lefort nutzte, um sich erneut durch Szenendiebstahl im besonders schweren Fall zu profilieren. Anneliese WELGE klingt auch als Witwe Browe nicht schön.

Frank Maximilian HUBE hat es geradezu meisterhaft verstanden, dem Stück musikalisch jede Form von Betulichkeit und biedermeierlicher Harmlosigkeit auszutreiben. Bei ihm hört man, daß Lortzing komponierte, während in Italien ein Donizetti im gleichen Jahr seine „Lucia“ schrieb, ja, man glaubt auf einmal Anklänge von „L’elisir d’amore“ oder „Don Pasquale“ zu hören. Das PHILHARMONISCHE ORCHESTER macht dies mit, was dem Stück eine nie gekannte Leichtigkeit verlieh.

Der CHOR und EXTRA-CHOR haben schon lange nicht mehr so homogen geklungen (Joseph FEIGL/Ludwig PFLANZ). Besonders positiv ist die „Jam-Session“ des Herrenchors im dritten Akt anzumerken (mehr wird nicht verraten, selber gucken gehen). Nur auf die sechs Tänzer hätte man getrost verzichten können. Der Holzschuhtanz wird auch nicht besser, wenn man ihn uninspiriert tanzt (Choreographie: Pascale CHEVROTON). MK