UNFASSBAR!

Wagners „Tristan und Isolde“ auf die Bühne zu hieven, stellt ja schon für große Theater ein sehr schwieriges Unterfangen dar, insbesondere im gesanglichen Bereich. Entsprechend skeptisch war ich dann auch darüber, daß eine kleine Bühne wie das Theater Lübeck dieses Wagnis angeht, zumal ein ähnlich schwieriges Werk („Elektra“) vor einigen Jahren ja sowohl szenisch wie auch gesanglich ein ziemlicher Reinfall war – auch auslastungstechnisch. Aber hier war alles total anders.

Es gab im Gegensatz zu erwähnter Produktion nur einen sehr lauten Wermutssee: Das Dirigat vom GMD Roman BROGLI-SACHER (Lautstärke ist KEIN Interpretationsansatz!!!). Er hielt zwar die LÜBECKER PHILHARMONIKER zusammen, aber ließ das Werk so laut spielen, daß die Sänger teilweise große Mühe hatten über diesen gewaltigen Klagapparat von gut und gerne an die 100 Musikern rüber zu kommen, was gerade bei diesen immensen Anforderungen an die Titelpartien absolut nicht akzeptabel ist! Dazu kam, daß die Celli wohl nicht den besten Tag hatten, dafür war das opulente Blech umso besser. Sehr homogen klangen der CHOR- und EXTRACHOR des Hauses (Joseph FEIGL), denen aber zwei oder drei etwas tiefere Tenöre nichts geschadet hätten.

Für die Inszenierung holte man sich wieder Didier VON ORLOWSKY zurück, der bereits vorletzte Spielzeit bei einem hervorragenden (übrigens ebenfalls glänzend besetzten) „Rosenkavalier“ Regie führte. In dem etwas kargen Bühnenbild (Haitger M. BÖKEN), das von zwei verschiebbaren Wänden dominiert wurde, ließ der Regisseur erneut sein Können in Sachen Personenführung und Bildersprache durchblicken, so daß es ihm gelang den teilweise doch arg ermüdend langen Szenen ein Stück ihre potentiell einsetzenden Langeweile zu nehmen.

Sehr gut gefiel mir die Aufwertung von Melot, der dadurch ein sehr viel größeres Profil gewann. Verblüffend einleuchtend war der Schluß des zweiten Aufzugs, wenn Tristan sein „Wehre dich, Melot“ ruft, sich vor das Schwert stellt, Melots Hand packt, der dann vollkommen erschrocken zusticht und zusammenbricht, ob der Tat, die er soeben beging, weil es ihm nicht darum ging, ihn zu töten, sondern nur ihn zu blamieren. Da ist ein Regisseur, der sein Handwerk versteht! Etwas unsinnig erschien mir jedoch das Klavier, das während des Liebesduetts reingefahren und später angezündet wird. Die ins Konzept passenden Kostüme entwarf Claudia BILLOROU.

Aber all das stand zurück hinter Solisten, bei denen man vergeblich nach Superlativen sucht, die diese Leistungen auch nur halbwegs würdigen können. Wo soll man anfangen, wo aufhören – und warum???? Gut, die erste Frage beantworte ich mit einem gentlemanesken: bei den Frauen natürlich! Da war zum einen Veronika WALDNERs wunderbare Brangäne, die der Rolle ihren herrlich runden, aber auch durchaus dramatischen Mezzo lieh und deren „Habet acht“-Rufe einem kalte Schauer über den Rücken jagten (die zählen ohnehin zu meinen Lieblingsmomenten aus dieser Oper).

Die Isolde war bei der jungen Zürcherin Marion AMMANN in allerbesten Händen! Zu ihrem Repertoire zählen u.a. die in höchstem Maße anspruchsvollen Verdi-Heroinen Abigaille, Odabella und Lady Macbeth, was sich in einer umwerfenden Italianita niederschlug, die dieser oft zur Brüll- und „Hauptsache Durchhalten“-Partie degradierten Rolle, die oftmals von Sängerinnen gesungen wird, die wohl eine bessere Brangäne abgäben, absolut gut tut. Es ist so angenehm, mal im schweren Wagner-Fach jemanden zu hören, der rein-stimmlich eigentlich eher dem jugendlich-dramatischen Repertoire zuzuordnen ist und eine sichere, schöne Höhe hat. Man merkte zwar gegen Ende eine minimale Heiserkeit, was zum einen wohl darauf zurückzuführen ist, daß es ihr Rollendebüt war, aber auch zum großen Teil auf Brogli-Sachers unverantwortlich lautes Dirigat. Dennoch stand sie die Anstrengung mit einer faszinierenden, nuancierten Bravour durch, die ihres Gleichen sucht und sang einen ergreifenden Liebestod. Hoffentlich wird man noch viel von dieser Sängerin hören!!!

Auf gleichem Niveau befand sich auch Richard DECKER (Tristan), der an diesem Haus in der letzten Spielzeit schon einen verheißungsvollen Tenor/Bacchus sang. Er verfügt über eine weiche, baritonal eingefärbte Stimme, schier unerschöpfliche Kraftreserven und eine tolle Durchschlagskraft. Darauf ruht er sich jedoch nicht etwa aus, sondern singt (!) so phantastisch differenziert, daß es eine wahre Wohltat ist. Man wird lange suchen müssen, um jemanden zu finden, der die ersten Phrasen des „Oh König, das kann ich dir nicht sagen“ im zartesten pianissimo nimmt, die fast halbstündige Siechszene so überragend ausgestaltet und sein finales „Isolde“ derart packend aushaucht.

Sehr geehrter Herr Wagner, haben Sie die Isolde schon besetzt? Haben Sie schon ein Cover für Robert Dean Smith?

Aber auch die restliche Besetzung war auf absolutem Weltklasse-Niveau: Anton KEREMIDTCHIEV verkörperte Tristans getreuen Diener Kurvenal mit markantem Heldenbariton und sang das Spottlied auf Morold mit so viel Ironie und bissigstem Sarkasmus, daß es keine Isolde ruhig lassen kann. Andreas HALLER lieh dem König Marke seine große, balsamische Stimme, die er sehr väterlich-klagend einsetzte. Joe TURPIN empfahl sich mit dem Seemann spätestens jetzt als toller Charakter-Tenor für größere Partien. Enrico-Adrian RADU war ein guter Hirt, für den das Gleiche wie für Turpin gilt, und Lars JACOBSEN war ein verschlagener, fieser Melot – allerdings war sein Tod doch arg pathetisch... Andreas BAUMEISTER fiel nach seinem hervorragenden Schließer („Tosca“) als ebensolcher Steuermann auf.

Alles in allem gilt noch zu konstatieren, daß man selten eine Wagneroper mit derart viel Italianita hört - ja, man kann Wagner auch singen!!! Man sollte sich aber noch mal überlegen, ob man nicht lieber die Übertitelungsanlage weit weit wegschließt, denn die Texte sind teilweise extrem grottenschlecht (meine Meinung...). Bei manchen habe ich den Eindruck, daß man sie Germanisten vorlegen könnte, und die würden einem in einem fünfseitigem Exposé viele synonyme Sätze für „Bitte, was meint der damit?“ schreiben. WFS