„FAUST“ – 7. Januar 2005

Die gute Nachricht ist, auch Dieter KAEGI kann sich steigern, die schlechte, daß das nicht unbedingt positiv zu sehen ist.

Schlaf ist keine Emotion, und so kann man durchaus behaupten, daß die neue Regiearbeit des Schweizers keinerlei Emotionen weckte. Es ist ein langweiliges Stückwerk aus verschiedenen Ideen, die man bereits woanders (meist besser) gesehen hat – z.T. bei Kaegi selbst, z.T. bei anderen – und die meist in keinem Bezug zu Gounods Oper stehen.

Schade, denn die eine oder andere Idee war durchaus interessant. Die Doppelung der Figur Faust selbst z.B. oder die Tatsache, daß Faust eigentlich nur in sich selbst verliebt ist, stachen aus dem Recyclingwust hervor.

Das Ganze spielte, in einer Bahnhofshalle, die Kaegi und seine Ausstatterin Stefanie PASTERKAMP wahrscheinlich aus dem seit Jahren im Umbau befindlichen Lübecker Hauptbahnhof recycelt hatten. Eine Bahnhofshalle in der Nachkriegszeit, in der sich zufällig Leute anscheinend auf den nächsten Zug wartend treffen, um plötzlich und überraschend in die Geschichte um Faust und Margarethe hineingezogen werden.

Ansonsten gab es „Vin ou biere“ mit Chor und Statisten in der üblichen Hans-Neuenfels-inszeniert-Sado-Maso-Manier (allerdings mehr gewollt als gekonnt), Marthe Schwerdtlein, die ihr Geld als Klofrau verdiente, einen Valentin mit chronischem Stigmatismus (mehrfach brechen bei ihm Jesus Wundmale auf), Siebel als Pimpf mit Trommel in den Krieg ziehend, Margarethe, die wohl irgendwie an Maria erinnern sollte, und eine Handvoll Chor-Skinheads (in der Nachkriegszeit???), die in der Szene, in der eigentlich die Soldaten aus dem Krieg heimkehren, ein paar Chor-Biedermänner mittels Baseballschlägern und anderen Waffen verprügelten bzw. bedrohten.

Warum? - eine Frage, die die Zuschauer den ganzen Abend nicht losließ. Zumindest die, die bis zum Schluß geblieben waren, denn die Fluchtquote nach der Pause war zumindest im Parkett (die Ränge konnten wir nicht einsehen) für Lübecker Verhältnisse relativ hoch.

Das Tenorglück, das uns seit Dezember hold war, mußte einmal enden. Daß es allerdings einen solchen Einbruch erleiden mußte, war nicht zu erwarten gewesen. Andrew FRIEDHOFF als junger Faust kann getrost als denkbar schlechteste Besetzung bezeichnen. Es kam nicht ein einziger Spitzenton, wo die Stimme nicht krächzte, meckerte sie.

Nun, ganz verschwand unser Tenorglück dann doch nicht. Joe TURPIN bescherte dem Publikum zum Beginn am Beginn des 1. Aktes wohlgesetzte Töne. Auch wenn es ihm sicher schwergefallen wäre, den gesamten Abend sängerisch allein zu bestreiten, wäre es doch eine sehr viel angenehmere Besetzung gewesen. Hinzu kam, daß er, in jeder gemeinsamen Szene „seinem“ jüngeren Ich auch in Bühnenpräsenz und Spiel um Längen voraus war.

Daß die Oper in Lübeck als „Margarethe (Faust)“ gespielt wird, war an diesem Abend gerechtfertigt. Chantal MATHIAS präsentierte sich in exzellenter Form, man könnte sagen, die Marguerite ist ihr auf die Stimmbänder geschrieben. Die Partie paßt genau auf den derzeitigen Entwicklungsstand der Stimme, die derzeit in grandioser Form ist. Dankenswerterweise machte die Sängerin „ihr Ding“ und agierte unangefochten auch in den sinnlosesten Regiemomenten (Marguerite gebiert im Traum den skelettierten Kopf eines Ziegenbocks (?)).

Annette PFEIFFER stand als Siebel dieser großartigen Leistung in nichts nach. Daß sie auf der Bühne glaubhaft ein Junge sein kann, wußte man bereits. Ihre Stimme durchmißt die Rolle ohne Mühe und wertet sie stimmlich und darstellerisch deutlich auf. Weder das eine noch das andere kann man von der Marthe von Inna KALININA behaupten.

Ganz glücklich konnte man mit Andreas HALLER als Mephisto nicht werden. Diese Partie scheint - zumindest streckenweise – seine Sache nicht zu sein. Das Ständchen war wunderbar sardonisch gelungen, bei dem Rest der Partie hatte man das Gefühl, daß sie weder dem Temperament des Sängers entspricht, noch daß die Stimme für dieses Fach beweglich genug ist. Ein bißchen böser darf es zudem dann doch sein – und die Hölle ist der Ort, an dem solche Kombinationen wie Mephistos Sakko und Hose geschneidert werden...

Eindeutig verschenkt wurde vom Regisseur das schauspielerische Potential, das bekanntermaßen in Gerard QUINN steckt. Anstatt dem Bariton Raum für die Interpretation eines religiösen Eiferers, der allen Geboten zum Trotz voll Freude in den Krieg zieht, und für den Vergebung ein Fremdwort ist, machte Dieter Kaegi aus Valentin einen Mystiker mit Kreuzigungswahn. Glücklicherweise schafft es der Sänger, mit einer klug phrasierten, stimmlich immer sicheren Leistung den Teil des Publikums zu wecken, der ob der szenischen Fadesse bereits am Einschlummern war.

Übel getroffen hatte es auch Marco STELLA, der als Wagner in einem überdimensionierten Krinolinenkleid herumlaufen mußte, wobei er zu Beginn seines Auftritts auch noch von einer albernen Maske beim Singen behindert wurde.

Der CHOR (Leitung: Joseph FEIGL) hat sich, unterstützt vom EXTRACHOR, an diesem Abend nicht Ruhm bekleckert. Es war schön, daß den Damen und Herren das Herumtollen im Sado-Maso-Outfit so gut gefallen, doch Sinn eines Chorstücks ist es, am Anfang, am Ende und in der Mitte desselben zusammen zu sein.

Die Leitung des Abends durch Roman BROGLI-SACHER störte diesmal nicht weiter. Etwas inspirierter und leidenschaftlicher könnte die Musik allerdings klingen. Ansonsten setzt sich noch das alte Vorurteil weiter fort, Gounod sei kitschig und langweilig. Das PHILHARMONISCHE ORCHESTER spielte auf hohem Niveau ohne Patzer. MK/AHS

P.S. Daß die von Gerard Quinn gesungene Figur völlig überflüssig, weil tot und in der letzten Szene gar nicht mehr vorkommend, zum Opernfinale auf der Bühne rumliegen muß und entkleidet wird, hatten wir übrigens gerade erst in den „Masnadieri“ des gleichen Regisseurs gehabt. „Positiv“ war, daß man sich bei Valentin keine Sorgen wegen einer baritonalen Erkältung machen mußte, da er nur seiner Schuhe und Socken verlustig ging, das Oberhemd diesmal anbehalten durfte.