„DON CARLOS“ – 10. September 2005

Der Verdi-Schiller-Zyklus am Theater Lübeck wurde in dieser Spielzeit mit der ersten Premiere um eine weitere Oper erweitert – somit fehlt nur noch „Luisa Miller“. Leider wurde die Produktion wieder dem Regisseur Dieter KAEGI und seiner Ausstatterin Stefanie PASTERKAMP anvertraut.

Ich habe es mir schon lange abgewöhnt, noch großartig über die Inszenierungen von Kaegi nachzudenken – es bringt eh nichts. Ich hatte und habe nicht den Eindruck, daß er sich sonderlich mit dem Stoff auseinandergesetzt hat. Von Personenführung kann keine Rede sein. Er enthält den Charakteren schicht und ergreifend logische Reaktionen vor. Z.B. kann man in keiner Weise erkennen, daß Posa und Carlo in irgendeiner Art und Weise echte Freunde sind (Sorry, aber die Musik Verdis spricht da eine ganz andere Sprache), anders kann ich mir nicht erklären, daß Posa Carlo mit geöffneten Pulsadern in der ersten Szene des zweiten Aktes rumrennen läßt, als wäre nichts geschehen (nach dem Motto „Verreck’ doch, mein Freund“) – dem geht es übrigens auch erstaunlich gut dabei. Dafür schmiert er (Posa) dann Eboli Blut ans Kleid (EIN SYMBOL, EIN SYMBOL!!!). Außerdem läßt selbiger seinen Freund auch seelenruhig im Autodafé seinen Vater mit dem „Degen“ (resp. der Pistole – was ist an „A me il ferro“ mißzuverstehen?) attackieren und macht nicht die geringsten Anstalten, ihn von dem Eklat abzuhalten. Machen das Freunde nicht für gewöhnlich? Überhaupt ist das ganze Autodafé nur zum Schnarchen. Gerade diese Szene ist doch DIE Möglichkeit an Sachen wie Sensationsgier etc. Kritik zu üben. Stattdessen sitzen alle auf ihren Stühlen und verfolgen die in einem Haus stattfindende (!) Ketzerverbrennung offenbar durch eine kleine Tür – das gibt Rückenschmerzen...

Auch wenn es im ersten Augenblick als durchaus sinnig erscheinen könnte, Elisabettas Arie als Grabrede auf der Trauerfeier am aufgebahrten Leichnam von Posa zu inszenieren, ergeben sich doch daraus ziemliche Widersprüche: Kriegen Verräter wie der Marquis eine festliche Beerdigung, oder wären deren Leichen in der damaligen Zeit nicht viel eher hinter einem Pferd durch die Stadt geschleift worden o.ä.? Wenn Elisabetta schon nicht alleine am Hofe in einem Raum sein darf, ohne daß eine Hofdame verbannt wird, warum darf sie dann eine solche Festivität leiten? Hätten die anwesenden Leute in der Zeit der Inquisition, als man seine Nachbarin schon der Hexerei anzeigte, wenn sie im Besitz eines Besens und einer schwarzen Katze war, die Anspielungen auf den möglichen Ehebruch der Königin so teilnahmslos über sich ergehen lassen, ohne sie stante pede der Inquisition zum Fraß vorzuwerfen? - Ich lasse diese Fragen einfach mal im Raum stehen...

Die Kostüme waren (mit Ausnahme der Ku-Klux-Mönche und der feinen Robe in der Kerker-Szene) relativ schlicht und im Großen und Ganzen angemessen gehalten. Während die Herren in schwarzen Anzügen (oder Hemden) gekleidet waren (Phillip sah im Autodafè genauso aus, wie alle anderen Herren...), trugen die Damen Kleider. Die Bühne kam mit wenig Requisiten aus.

Sehr erfreulich waren die meisten sängerischen Leistungen. In der Titelpartie ließ der für Mario Diaz eingesprungene Erin CAVES aufhorchen, der über einen sehr ansprechenden Tenor verfügt, den er gewinnbringend einsetzte. Man merkte zwar schon, daß der Carlo für ihn noch eine grenzwertige Rolle darstellt (im Autodafé ist ihm der eine oder andere hohe Ton in der Kehle steckengeblieben ), aber er zeigte auch durchaus, daß in ihm weit mehr steckt. Man gebe ihm einen guten Regisseur, einen tollen Dirigenten und etwas Zeit, dann kann aus ihm was werden. Man darf gespannt sein!

Sein „Freund“ Posa wurde von Gerard QUINN mit noblem Bariton gesungen. Er zeigte erneut, was für ein grandioser Interpret und Stilist er doch ist. Szenen mit ihm wurden immer zu einem großen Erlebnis, da er wirklich immer und mit jeder einzelnen Phrase mitzureißen vermochte, sei es in seinem leidenschaftlichen Werben für Flandern im Duett mit Phillipp, sei es in seiner ergreifenden Todes-Szene.

Mit Mardi BYERS wurde für die Elisabetta eine hervorragende Sängerin aufgeboten, die es wahrhaftig verstand, die Partie zu durchdringen. Ihr gelang ein rundum tolles Portrait der Figur. Ihre Stimme scheint von Partie zu Partie sich besser in das Fach das lyrischen Verdi-Soprans mit dramatischer Attitüde einzufügen. Ich bin sehr darauf gespannt, wie nun in dieser Saison ihre Tosca sich anhören wird, die nach einer Pause wieder aufgenommen wird.

Einziger vokaler Schwachpunkt war für mich Leandra OVERMANN als Eboli, die die Prinzessin als eine Art psychopathisch-blutrünstiger Brünnhilden-Schwester der Lady Macbeth anlegt und mit ihrer riesigen Stimme teils eigenartige Laute produziert. Derartige Figuren schmieden keine hinterhältigen Intrigen wie Eboli, sondern legen ihren Feinden Pferdeköpfe ins Bett – evtl. mit dem einen oder andere Zahnabdruck an selbigem... Sicherlich kann man Overmann nicht vorhalten, daß sie nichts aus der Partie machen würde, aber ich kann mit dieser Art des Singens so absolut gar nichts anfangen. Ich mag zwar Sänger, die sich in Partien reinsteigern können, aber alles hat seine Grenzen!

Auf hohem Niveau präsentierten sich die Bässe. Allen voran Vincent LE TEXIER (der in der Einleitung zu seiner Arie in Feng-Shui-Manier die Einrichtungsgegenstände im Zimmer umräumte), der mit seinem sehr interessanten Instrument dem Philipp Profil gab und in allen Punkten überzeugte. Ihm stehen sowohl die Mittel für den Machtmenschen und despotischen Herrscher, aber auch für den gebrochenen Mann zur Verfügung. Seine große Arie war einfach nur großartig und packend! Ich hoffe, daß man von ihm mehr hier hören wird.

Andreas HALLER hätte ich den Großinquisitor kaum zugetraut, da er mir für die bösen Rolle bisher immer zu sympathisch erschien (ein Grund, warum er am Mephistopheles gescheitert ist). Umso erstaunter war ich, daß er es doch schaffte, auch mal böse zu singen, was ihm zwar nicht die ganze Zeit, aber doch zum großen Teil gelungen ist.

Unter den Nebenpartien stach erneut Andreas BAUMEISTER als mystischer Mönch hervor. Joao CARRERA gab einen tollen Lerma, Katharina SCHUTZA empfahl sich als Tebaldo für Größeres, Chantal MATHIAS sang mit nicht ganz sicherer Höhe die Stimme vom Himmel. Seltsam erscheint mir, weshalb im Programm regulär sechs flandrische Deputierte standen, aber dort nur fünf aufgeführt und aufgeboten waren... Wie dem auch sei, absolvierten Andreas Baumeister, Andreas BERG, Till BLECKWEDEL, Dejan BRKIC und Philipp MÖLLER ihren Part sehr überzeugend.

Leider kann man das nicht vom Dirigat Roman BROGLI-SACHERs behaupten, der der Oper alles schuldig blieb, was diese Oper für mich zu einer von mir favorisierten macht. Es war alles nur ein lauwarmer, elendig zähflüssiger Einheitsbrei, der da im Orchestergraben herumschwamm. Es gab keine Dynamik, alles wirkte wie nach Metronom gespielt. Wo war die Dramatik, wo das Feuer? Was hat er dirigiert??? Also, Verdi war das nicht! Mit Ausnahme eines Fast-Schmisses im Autodafé und eines quäkenden Tenors, leistete der HAUS- und EXTRA-CHOR solide Arbeit. WFS