"ALBERT HERRING" - 27. Juni 2006

In der Lübecker Variante von Brittens Oper über die absurden Blüten, die die sprichwörtliche Piefigkeit einer Kleinstadt treiben kann, tobt das Leben vor und hinter dem Deich (Bühne und Kostüme: Julia HANSEN) von Loksburg (nicht Loxford).

Die Inszenierung (Mariame CLÉMENT) tut nicht weh, ist aber - von einigen gelungenen Einfällen abgesehen (wie z.B. die sich anbahnende Beziehung zwischen Miss Wordsworth und Mr. Gedge und die kleinen stetig wieder auftauchenden Eigenheiten der Figuren) - auch nicht der große szenische Wurf. Ein großes Plus ist, daß dem Stück jenseits vom psychologischen Gedeutel im Programmheft seine Komik gelassen wurde, und man immer wieder herzlich lachen kann - so man denn möchte (siehe unten).

Gesungen wird auf Deutsch, was schade ist, der exzellenten musikalischen Darbietung aber nicht gravierend im Wege steht.

Dies war neben der souveränen wie musikalischen Leitung des Abends durch Frank Maximilian HUBE und dem PHILHARMONISCHEN ORCHESTER mit einem mustergültigen Abend dem durchweg guten Ensemble auf der Bühne zu verdanken.

So zeigte Patrick BUSERT in der Titelpartie, daß er nicht nur zum formvollendeten Tragen eines Blütenkranzes prädestiniert ist. Seine Stimme ist wieder ein Stück größer geworden, ohne dabei ihre Schönheit und Flexibilität zu verlieren. Das bereits oft bewiesenes Gespür, genau die Balance zwischen Komik und Tragik der Figur zu treffen, ist ideal für Albert Herring. Ein berührendes Rollenporträt.

Der Abend brachte außerdem ein Wiederhören mit Veronika WALDNER, die Mrs. Herring als tragikkomische Charakterstudie einer mit Sohn und Situation überforderten Mutter zeichnete, ohne ins übertrieben Melodramatische abzurutschen.

Das "Komitee zur Wahl der Maikönigin" zeigte nicht nur mittels kleiner Showeinlage seine tänzerischen Fähigkeiten auf (Braucht das Haus da wirklich noch ein Ballett? *LOL*), sondern konnte sich auch gesanglich profilieren. Allen voran Anna Maria DUR als Lady Billows und Nadine WEISSMANN (Florence Pike). Die beiden Moralapostel des Ortes wurden von ihren Interpretinnen gekonnt karikiert und gesungen.

Gleiches gilt für Gerard QUINN, der als Mr. Gedge neben dem selbstredend makellosen Gesang wieder einmal die Gelegenheit erhielt, sein komisches Talent auf der Bühne auszuleben. Dem Pfarrer zur Seite gestellt wurde Miss Wordsworth, wobei zu vermuten steht, daß die beiden ein Jane-Austen-mäßiges Happy-end bekommen werden. Stefanie KUNSCHKE zeigte, wie man eine "graue Maus" auf die Bühne bringt, ohne trutschig zu sein. Die Grundschullehrerin war ihre vorerst letzte Partie in Lübeck. Sie verläßt das Theater, was sehr schade ist.

Andreas HALLER polterte baßgewaltig über die Bühne. Sein Polizeichef Mr. Budd hätte ob der Authentizität in jedem norddeutschen "Tatort" gute Chancen. Leider fiel die Leistung von Matthias GRÄTZEL den anderen gegenüber sehr ab (Bitte nicht so unkultiviert schreien! Die Akustik des Theaters Lübeck ist wirklich recht gut.).

Zu dieser Gruppe Loksburger kamen Sid und Nancy, die dank des Rum für die Limonade Stimmung in die Feierlichkeiten bringen und Alberts Mut zur Wandlung einleiten. Steffen KUBACH als herrlich prolliger Metzgerbursche und Astrid VON FEDER ergänzten sich ideal.

Ann-Kathrin SCHMIDT (Emmy), Antonia REINLÄNDER (Siss) und Lukas Leon GOTTWALD (Harry) bewältigten trotz ihres Alters ihre Aufgaben sehr gut und konnten sich stimmlich neben ihren Kollegen behaupten, ohne sich in Übertreibungen zu flüchten.

Zum Schluß noch eine Bemerkung ans Publikum: Liebe Lübecker, "Albert Herring" ist trotz all der Ereignisse und Wendungen der Handlung eine komische Oper. Es darf also ein bißchen mehr gelacht werden, insbesondere, wenn das, was auf der Bühne passiert, derart komisch ist.

Mehr Stimmung im Zuschauerraum hätte dem Abend sicher nicht geschadet, aber vielleicht bekommen wir das noch, wenn wir eine der nächsten Aufführungen (Wiederaufnahme ab Herbst 2006) besuchen. AHS