"LOHENGRIN" - 10. September 2006

Das Theater Lübeck gönnt sich zur Spielzeiteröffnung "Lohengrin" und landet szenisch und gesanglich damit auf großartigem Niveau.

Es ist leider nicht nachzuvollziehen, was einige - wenige - Buhrufer an der Produktion auszusetzen hatten. Didier VON ORLOWSKY hat eine Regie auf die Bühne gebracht, bei der man sich an kleinen, unterschwelligen Boshaftigkeiten erfreuen kann (der sich unter den Brabantern langsam breit machende Militarismus faschistischer Couleur, König Heinrich, der gegen Ende völlig unwichtig und daher am hinteren Bühnenrand plaziert wird, der allgegenwärtige Pressephotograph, die Bierhallenatmosphäre zu Beginn der Schlußszene), die einem jedoch zu keiner Sekunde mit dem Holzhammer etwas aufdrängt. Hier hat ein Regisseur endlich einmal den Mut, der Intelligenz des Publikums zu vertrauen.

Lohengrin könnte in der Gesellschaft die Menschlichkeit, nach der er sucht, im Leben nicht finden. Er muß scheitern, wie auch Brabant scheitern wird. Wenn am Schluß Gottfried (André JANSSEN mit viel Präsenz) als schwersttraumatisierter Teenager (welcher Junge würde es ohne weiteres wegstecken, als Schwan leben zu müssen?) zurückkehrt, bricht die Welt zusammen, die Brabanter stehen ohne Zukunft in ihrer Unterwäsche da. Eine Lösung oder gar Erlösung kann dieser Junge keinesfalls sein.

Das Ganze spielt von den sehr kleidsamen Kostümen (Angelika RIECK) her in den dreißiger Jahren im Einheitsbühnenbild einer Mehrzweckhalle mit Bühne (Bühnenbild Haitger M. BÖKEN). Diese Bühne dient sehr gut dazu, wenn sich Telramund bei der Szene zwischen Ortrud und Elsa versteckt, ebenso verleiht sie dem Auftritt Lohengrins aus dem auf die hintere Wand mit Leuchtdioden angedeuteten Schwan etwas sehr theatralisches. Dabei wirkt die Inszenierung zu keinem Zeitpunkt unästhetisch, auch wenn Lohengrins Kostüm ein wenig zusammengesucht wirkt, als habe er schnell das gegriffen, was da war, um Elsa zu Hilfe zu eilen.

Scott MACALLISTER singt einen eher lyrischen Lohengrin, der trotzdem in keiner Sekunde gezwungen ist, die Stimme zu forcieren. Eine wunderschön phrasierte Gralserzählung ist der Höhepunkt einer Leistung, die man nicht alle Tage hört. Auch darstellerisch macht er den Fremdkörper, den Lohengrin in dieser Regie in Brabant ist, sehr deutlich. Marion AMMANN läßt ihre Stimme auch eher lyrisch strömen, was ihr einen mädchenhaften Klang gibt. Wenn es dann einen dramatischen Ausbruch gibt, läßt sich feststellen, welche Volumen eigentlich vorhanden ist. Ein paar Unsicherheiten zu Beginn waren sicherlich der Premierennervosität zuzuschreiben. Wozu diese Elsa allerdings einen Streiter benötigt, wenn sie das Schwert professioneller hält als die beiden kämpfenden Herren, fragt man sich schon.

Die Ortrud von Veronika WALDNER beherrscht die Szene, sobald sie auftritt. Mit einer großen Bühnenpräsenz gesegnet sehen ihr sowohl die leisen Töne, mit denen sie Gift in die Ohren von Ehemann und Elsa träufelt, als auch die dramatischen Ausbrüche zur Verfügung, ohne daß es hörbare Grenzen gibt. Sie übertrifft damit noch ihre Brangäne und ihren Octavian an Wirkung, die sie in den letzten Jahren in Lübeck sang. Anton KEREMIDTCHIEV als Telramund könnte noch etwas mehr aus sich herausgehen, ein paar mehr Nuancen in Phrasierung und Darstellung zeigen. Die Stimme für die Partie hat er, die Ausstrahlung auch. Wenn er im Unterhemd zu Beginn des zweiten Aktes seinen Frust in Alkohol ersäuft, kann er fast Mitleid erwecken.

Gerade bei Wagner schafft es Andreas HALLER (König Heinrich) seinen ansonsten manchmal etwas schwer anspringende Baß rund und ausgeglichen klingen zu lassen, der auch vor exponierten Tönen nicht zurückschrecken muß. Darstellerisch zeigt er die Autorität einer sich dem Ende nährenden Ära. Gerard QUINN, eine stimmliche Luxusbesetzung als Heerrufer, den er mit unendlichem Atem und Legato singt, hat sichtliches Vergnügen an Orlowskys Zeichnung der Rolle als staubtrockener Bürokrat, der sich krampfhaft an seiner Aktentasche festklammert.

Die vier Edlen (Joao CARRERA, Mark McCONNELL, Yong-Ho CHOI und Han-Jun KWON) hätten auch einem größeren Hause alle Ehre gemacht, die Knaben (Sonja FREITAG, Therese MEINIG, Ulrike HILLER, Birgit MACZIEY) waren nicht ganz auf diesem Niveau, aber immer noch auf einem hohen.

Der CHOR und EXTRACHOR (Leitung Joseph FEIGL) hatten einen sehr guten Abend, ein besonderes Lob muß man den Herren aussprechen, die viel Engagement und Stimmstärke zeigten.

Einen Wermutstropfen gibt es allerdings zu beklagen. Das Dirigat von Roman BROGLI-SACHER vermochte nicht zu fesseln. Im Vorspiel suchte man vergebens nach Akzenten, statt dessen dehnte es sich spannungslos in die Ewigkeit. Daß meine Gedanken schon nach knapp zwei Minuten nur sehr schwer am Abschweifen gehindert werden konnten, spricht nicht für dieses Dirigat. Immerhin blieb Brogli-Sacher diesmal einigermaßen sängerfreundlich, aber zu faszinieren wußte diese Leistung nicht. Das PHILHARMONISCHE ORCHESTER schlug sich wacker, abgesehen von den Trompeten, bei denen doch heftige Wackler zu verzeichnen waren.

Trotzdem, ein großer Abend für das Lübecker Theater. Wir sind mit Sicherheit nicht das letzte Mal in dieser Produktion gewesen. MK