"OTELLO" - 24. Februar 2007

Das Theater Lübeck setzte mit dem "Otello" seine (inoffizielle) "created by Verdi - destroyed by Kaegi"-Reihe fort. Dieter KAEGI zeigte erneut, daß er offensichtlich nicht viel davon hält, seine Inszenierungen in irgendeiner wie auch immer gearteten Form auf den Inhalt abzustimmen. Das ganze spielt sich in einem Boxring ab, in dem zu Beginn Cassio und Rodrigo boxen, und Jago als Ringrichter fungiert. Otello ist dann der Box-Promoter. Das Konzept geht komplett an sämtlichem Sinn vorbei. Welches Interesse hat Otello an einem Kampf zwischen Cassio und Rodrigo? Sollte das nicht viel eher bei Jago liegen, der übrigens auch als Ringrichter nicht unfair wirkt? Außerdem sah der Verlierer Rodrigo nicht unbedingt aus wie ein "Musulmano"...

Überhaupt will mir nicht einleuchten, weshalb es im Boxmilieu spielt. Sicher ist die Oper ein einziger Kampf, nur wissen bei einem Boxkampf doch beide Parteien, daß sie miteinander kämpfen, und solches findet im Otello nur einmal statt - und so wichtig ist dieser eine Kampf dann auch nicht, als daß man die ganze Regie darauf ausrichten kann. Der wichtige Kampf Jago/Otello ist doch eigentlich nur ein einseitiger, von dem Otello nichts weiß. Wenn dann später Jago und Cassio im dritten Akt noch mit Taschentüchern durch die Gegend schmeißen, wirkt das ganze wie ein verzweifelter Versuch, ein Alibi-Symbol reinzuprügeln. Auch die Eifersucht Otellos auf seine Gattin ist vollkommen unverständlich, so wirken beide beim Liebesduett nicht wirklich so, als ob irgendeiner von beiden den anderen überhaupt kennt. Die eventuelle diesbezügliche Deutung des Klammerns aufgrund seiner Außenseiterstellung, kam hier nicht in Betracht. Ich amüsiere mich eigentlich nur noch über Kaegis verhunzten Werke - die kann ich einfach nicht ernst nehmen... Für die passende Ausstattung sorgte wieder Stefanie PASTERKAMP.

Als Jago beeindruckte einmal mehr Gerard QUINN, der der Rolle ein unglaublich hinterlistiges Profil verlieh. Er ist mit seinem lyrisch-noblen Timbre nicht unbedingt ein klassischer böser Verdi-Bariton, aber er versteht es meisterhaft, seine Rollen extrem verschlagen anzulegen, so daß sie wunderbar hintergründig und damit eigentlich noch böser wirken, als bei den Brüllern, die schon fast Schaum vorm Mund haben...

Während Quinn einen nun vermutlich auch mit dem Vortrag des Telefonbuchs von Peking in der original finnischen Übersetzung mit lappländischem Dialekt rückwärts mitreißen würde, singt Mario DIAZ (Otello) eigentlich genau so - total unverständlich und sinnlos. Er klingt immer, als würden auf seinen Stimmbändern tonnenschwere Gewichte lasten, die er irgendwie hochstemmen muß, und dabei noch stets auf der vergeblichen Suche nach den richtigen Tönen ist, die in der Form wahrscheinlich in keinem noch so modernen Werk vorkommen - und es hoffentlich niemals tun. Das ewige Forcieren nervt einfach. Zugegebenermaßen war er im piano marginal erträglicher, aber dennoch bot er zum wiederholten Male eine katastrophale Leistung.

Die für Carol Wilson als Desdemona eingesprungene Mary Ann KRUGER konnte durchaus für sich einnehmen. Sie zeichnete eine grundsolides, zwischen Stärke und Demut schwankendes Portrait, wirkte aber ab und an noch ein wenig schüchtern.

Patrick BUSERT (Cassio) und Joao CARRERA (Rodrigo) machten als Boxer eine recht gute Figur (allerdings wirkte die Choreographie der Box-Szene unfreiwillig komisch, da sie immer im Abstand von zwei Metern in einem Kreis um einander rumliefen und sich gegenseitig auf die Fäuste hauten...). Gesanglich waren sie beide erwartungsgemäß auf sehr hohem Niveau und strahlten wieder pure Freude am Gesang aus. Das gilt auf für den würdevollen Lodovico von Andreas HALLER und den wiederholt aufhorchen lassenden Andreas BAUMEISTER (Montano). Allen vieren (und natürlich auch Gerard Quinn) wünsche ich interessante Rollen im in der Presse avisierten "Ring" - dessen Zeitpunkt nebenbei bemerkt wohl nicht so clever ist, da Hamburg ja auch gerade fleißig schmiedet... Sandra MAXHEIMER fiel als Emilia nicht weiter auf.

Am Pult des PHILHARMONISCHEN ORCHESTERS DER HANSESTADT LÜBECK war Roman BROGLI-SACHER schon wieder nicht in der Lage, der Musik Ausdruck zu verleihen. Die langsamen Passagen wirkten alle langweilig, die schnellen undifferenziert laut und auf die triste Begleitung des Racheschwurduetts (eines der wenigen Highlights dieser Oper) hätte man auch problemlos den "Vogelfänger" singen können. In sehr guter Verfassung zeigte sich der HAUS- und EXTRA-CHOR unter der Leitung von Joseph FEIGL. WFS

P.S.: Bleibt noch die Frage, wann das Haus gedenkt, den Verdi-Schiller-Zyklus zu vollenden - es fehlt noch "Luisa Miller" (vielleicht dann nächste Saison mit einem fähigeren Regisseur???).