"Il TROVATORE" - 9./25. November 2007

Eine der Veränderungen, die der (halbe) Intendanzwechsel dem Theater Lübeck beschert hat, ist eine publikumsorientierte Spielplangestaltung. Man scheint emsig darum bemüht, den Theatergängern das zu bieten, was diese vermutlich hören bzw. sehen wollen; bei den für die vergangene Spielzeit veröffentlichten Auslastungszahlen ein dringend überfälliger Schritt.

Seit dem letzten Oktoberwochenende gibt es nun eine neue Produktion von "Il Trovatore". Eigentlich ein Selbstläufer, sollte man meinen… In puncto Besetzung ist den Lübeckern jedenfalls Großartiges gelungen. Ein bis hin zur Partie des alten Zigeuners gut gewähltes Ensemble bietet Verdi-Oper per excellence.

Elena PANKRATOVA, im Jahr 2004 als beeindruckende Senta in Frankfurt/M. zu erleben, verlieh Leonora viel Selbstbewußtsein und Temperament. Ihr dunkeltimbrierter Sopran besitzt viel Feuer und Strahlkraft, ist leisen Momenten ebenso fähig wie zu dramatischen Ausbrüchen. Die Anlage Leonoras als selbstbewußte, in ihren Handlungen autarke Persönlichkeit kam ihrem Bewegungsdrang entgegen und rundete die Präsentation gelungen ab.

Auch Azucena fand in der düster-feurigen Interpretation durch Veronika WALDNER eine passende Entsprechung. Wenigen Sängerinnen gelingt es, sich so mühelos über sämtliche Schubladen hinwegzusetzen und derart breitgefächert brillante Interpretationen auf die Bühne zu bringen. Kurz, mit dem ihr eigenen Perfektionismus gibt sie Azucena Gestalt zwischen Wahnsinn und Mutterliebe, ohne auch nur für eine Sekunde ebenjene gesangliche Vollkommenheit aus den Augen zu verlieren, für die sie ihr Publikum so liebt.

Der Conte di Luna war in Gerard QUINNs Lübecker Repertoire längst überfällig Der Bariton, bekanntermaßen ein Meister im eindringlichen Singen langer Bögen und in nuancenreicher musikalischer Gestaltung, bot makellosen Verdi-Gesang in überaus gefühlvoller Darbietung. Italienischer ist es kaum möglich. Dazu war seine Partie mit dem einzig wirklich guten Regieeinfall der Produktion bedacht (s.u.), was ihm die Möglichkeit gab, sein Talent zur spannenden Interpretation zerrissener Charaktere voll zur Geltung zu bringen.

Manrico ist stets eine Herausforderung für Tenöre, und es gibt Sänger, die dies problemlos meistern. Mario ZHANG (9.) und Thomas RUUD (25.) gehören allerdings nicht wirklich zu diesen. Beide hatten ihre guten, bisweilen sogar sehr guten Momente, doch keinem von beiden gelang eine einwandfreie Charakterisierung.

Mario Zhang ist bezüglich der Rollengestaltung insgesamt sicherlich der bessere Interpret. Sein Manrico besitzt durchaus einen wandelbaren Charakter Doch sein fast permanent im Forte gehaltener Gesang ist auf Dauer enervierend. Merke, kaum variierende Lautstärke ist kein Mittel der Gestaltung. Im Gegensatz dazu gelang Thomas Ruud genau dies hin und wieder, doch dafür war sein Manrico als Person sterbenslangweilig und streckenweise ohne jede Interaktion mit seinen Bühnenkollegen.

Andreas HALLER hat allerspätestens seit dem Großinquisitor hörbar großes Vergnügen an Verdis Baßpartien. Ferrando ist hier nicht allein ein souveräner Stichwortgeber, sondern aktiver Teil der Handlung und das mit beeindruckender Stimmgewalt.

Die Partie der Ines wurde von Sandra MAXHEIMER rollendeckend interpretiert. Hier ist hörbar mehr möglich. Chul-Soo KIM gab dem bereits genannten alten Zigeuner an beiden Abenden eine kräftige Stimme. João CARRERA (9.) war als Ruiz und als Bote (sic!) eigentlich überbesetzt, nutzte in diesen kleinen Solopartien aber erneut die Gelegenheit, meisterlich auf seine gesanglichen Fähigkeiten gerade im italienischen Fach aufmerksam zu machen. Aber auch am 25. waren diese Partien mit Kyung-Jin JANG (Ruiz) und Carrera als Bote ausgezeichnet besetzt. Ersterer ließ ob seiner hervorragenden gesanglichen Fähigkeiten aufhorchen.

CHOR und EXTRA-CHOR waren extrem gut disponiert. Hier gebührt dem Chordirektor Joseph FEIGL und seinen Damen wie Herren ein dickes Lob für die gut geprobte und eindrucksvoll präsentierte Leistung.

Das PHILHARMONISCHE ORCHESTER unter der Leitung von Roman BROGLI-SACHER hatte am 9. eindeutig einen besseren Abend, was aber durchaus an einem engagierten Dirigat durch den GMD gelegen haben könnte. Am 25. schleppte es streckenweise doch sehr, und es kam zu mittleren Irritationen zwischen Bühne und Graben. Sauber gespielt wurde an beiden Abend, aber noch ein Quentchen mehr Engagement wäre wünschenswert.

Die Inszenierung (Jakob PETERS-MESSER) lebt vom bewährten "(fast) leere Bühne"-Prinzip. Bühnenbeherrschend ist die meiste Zeit über ein Käfig, der laut Programmheft "ein ganz lapidares Zeichen für Gewalt und Gefangensein ist" (Bühne: Markus MEYER). Sehr in Mode ist, Ideen wiederaufzugreifen. So gab es im ersten Teil des 3. Aktes das amüsante Wiedersehen mit der "(Chor) Formation Schildkröte"; bereits in der alten Hamburger Inszenierung sehr geliebt (Danke!).

Man bediente zudem bekannter Accessoires' wie z.B. großer buntkarierter Einkaufstaschen für Azucenas Habe. Beliebt ist auch, Elemente der Popkultur einzuflechten. Ob Absicht oder nicht, Outfit wie Frisur Lunas erinnerten stark an die Figur Sergej Varsjinskij aus der populären skandinavischen Krimiserie "Der Adler". Ganz allgemein zeigten die Kostüme (Sven BINDSEIL) eine Bandbreite quer durch die Zeiten und reichten von extrem kleidsam (Luna) bis zu albern (Manrico mit weißen Schlaghosen).

Regelmäßig kann man in Programmheften über die Verworrenheit von Verdis Geschichte um Leonora, Manrico und Luna lesen. Ebenso regelmäßig fragt man sich, weshalb Regisseure dann dazu neigen, die angeblich so schwerverständliche Handlung mittels Doppelgängern und zusätzlicher Personen noch komplizierter zu machen.

Gegenüber den Lübecker Verdi-Interpretationen der vergangenen Jahre ist die aktuelle Produktion definitiv als Fortschritt zu sehen. Der wohl stärkste Moment fand sich in der Idee, Luna zu Beginn des 4. Aktes betrunken und damit nicht mehr vollständig Herr seiner Sinne auftreten zu lassen. Gerard Quinn brachte hier die versteckte Verzweiflung der Figur vollendet tragikkomisch zum Ausdruck, was eine völlig neue Sichtweise eröffnete.

Leider blieb das Theater an diesen Novemberabenden relativ leer. Daher sei gesagt: liebe Lübecker, Sie können sich wieder in eine Verdi-Inszenierung an Ihrem Theater trauen. Trotz zeitweise herabregnender Papiere und der einen oder anderen merkwürdig anmutenden Idee wäre dies schon allein aus musikalischen Gründen ein lohnenswerter Besuch. AHS

P.S. Beide Abende waren übrigens m.E. komplett microportfrei. *LOL*