WAGNER-WUNDER WÄHRT WEITER

Anthony PILAVACHI hält mit seiner "Walküren"-Inszenierung das hohe Niveau, das er selbst mit dem "Rheingold" vorgegeben hat. Er sprüht geradezu vor originellen Ideen, die immer haargenau auf die Musik passen. Die Bühnenbilder von Momme RÖHRBEIN zeichnen sich in ihrer Kargheit durch eine Atmosphäre der Hoffnungslosigkeit aus. Auch die Kostüme (Angelika RIECK) sind passend; vielleicht von den Fliegermonturen der Walküren abgesehen, die insbesondere die nicht sonderlich groß gewachsene Brünnhilde etwas gedrungen wirken läßt. Die Kleinbürgerhölle des ersten Aktes ist perfekt getroffen, die Erstarrtheit von Sieglinde in ihrem Leben, die bei Siegmunds erster Berührung aufbricht, genau beobachtet.

Im zweiten Aufzug bedienen sich Regisseur und Bühnenbildner sehr filmischen Mitteln. Nicht nur verfolgt Wotan die Flucht seiner Kinder (quer durch den Hof des Theaters) auf einem Bildschirm, auch wenn er Brünnhilde die bisherigen Ereignisse schildern, sieht man Szenen der "Rheingold"-Produktion. Die vorbeiziehenden Bilder von jungen Soldaten erkennt man später als die der gefallenen Helden. Pilavachi lebt auch diesmal seinen Hang zum Splatter-Movie aus; Siegmund und Hunding sterben sehr plastisch.

Die zum "Walkürenritt" auf den Wellblechzwischenvorhang projizierten Kampfflugzeuge fliegen exakt im Takt, die in Fliegeroutfit teilweise mit Fallschirmen landenden Walküren tun dies ebenfalls genau auf die Musik. Große Bilder gelingen, wenn Wotan die Walküren aus dem Flugzeughangar aussperrt, um mit Brünnhilde allein zu sein, wenn diese sich als Tochter ihrer Mutter erweist, die Wotan die Zukunft voraussagt, oder wenn sie im Feuerzauber von einer schwarzen Wolke eingehüllt wird. Der mehr als nur leicht inzestöse Kuß zwischen Vater und Tochter, nach dem beide zu Boden taumeln, ist so perfekt getimt, daß er vollkommen richtig erscheint, daß es auf diese Musik gar nicht anders sein könnte.

Dieser dritte Aufzug gehört dann ganz Brünnhilde und Wotan. Rebecca TEEM und Stefan HEIDEMANN verausgaben sich hier stimmlich und darstellerisch vollständig. Da kommt jede Geste, jede Phrase mit solcher Intensität, daß einem beim Zuschauen und -hören der Atem stockt. Frau Teem singt eine relativ lyrische Brünnhilde, die, nachdem die ersten "Hojotohos" überstanden sind, ohne jeden stimmlichen Tadel ist. Dieser lyrische Zugang unterstützt noch die Interpretation von Brünnhilde als im zweiten Aufzug freche Teenagergöre, die dann über den Ereignissen erwachsen wird, und ihre Strafe schließlich mit Stolz annimmt. Heidemanns Stimme hat sich seit dem "Rheingold" vom vergangenen Jahr noch weiterentwickelt. Hinter allem herrischen Auftreten schwelt bereits die Resignation, die dann auch immer wieder in der Darstellung durchbricht. Wenn ihm in seinem Abschied der Dirigent tatsächlich einmal ein paar piani gestattet, kann man die Verzweiflung des Gottes mit Händen greifen.

Als Siegmund ist Andrew SRITHERAN zu hören, der durch sein baritonales Timbre und eine selten gehörte Wortdeutlichkeit besticht. Ein oder zwei Höhen klingen nicht ganz so souverän wie der Rest der Partie, aber das sind marginale Einwände, denn wenn es ihm noch gelingt (vielleicht mit einem sensibleren Dirigenten?), echte piani für sich zu entdecken, dürfte einer größeren Karriere nichts entgegenstehen, zumal er auch dem Auge nicht wehtut. Marion AMMANN als Sieglinde stellt eine zutiefst traumatisierte junge Frau auf die Bühne, die am 21. September auch mit einer großartigen stimmlichen Leistung und intensiven Eingehen auf ihre Partner beeindruckte. Am 3. Oktober kämpfte sie im ersten Aufzug heftig mit der Intonation; auch wirkte es so, als bekämen die Partner von ihr wenig zurück, was der Ekstase der Begegnung mit ihrem Bruder sehr die Wirkung nahm.

Andreas HALLER ließ als Hunding einen mächtigen Baß hören, den er jedoch auch mit leisen Untertönen ausstattete, und dadurch die Gefährlichkeit noch unterstrich. Wunderschön war seine Irritation darüber, als Sieglinde eine eigene Meinung entwickelt. Veronika WALDNER ist als Fricka großartig, hoheitsvoll, mit kleinen sichtbaren Rissen in der Maske der starken Frau. Nicht ein Mal gerät sie in die Gefahr des Keifens, sondern bleibt mit ihrem perfekten Mezzo immer auf Linie und läßt dabei auch stimmliche Nuancen hören, die die Verletzungen hörbar machen, die Wotan seiner Frau zugefügt hat.

Die Walküren waren mit Anna BAXTER, Sonja FREITAG, Hye-Sung NA, Roswitha C. MÜLLER, Sandra MAXHEIMER, Frauke WILLIMCZIK und Elena SUVOROVA sowie insbesondere Veronika Waldner hochklassig besetzt. Nicht nur, daß sie tadellos sangen, sie waren auch bemerkenswert lebendig im Spiel sowohl in der Ausgelassenheit als auch in der Betroffenheit über Brünnhildes Bestrafung.

Der Wermutstropfen dieses Rings ist leider nach wie vor das Dirigat von Roman BROGLI-SACHER. Zwar ist es nicht zu vergleichen mit der katastrophalen Leistung beim Eutiner "Tannhäuser", denn immerhin ging zwischen Graben und Bühne diesmal etwas zusammen. Allerdings waren, abgesehen von sehr gedehnten Tempi, die Sänger in ständiger Gefahr, vom Orchester zugedeckt zu werden. Die orchestrale Lautstärke war über die Dauer von fünfeinhalb Stunden (mit insgesamt anderthalb Stunden Pause) einfach enervierend, zumal die Sänger durchaus der Differenzierung mächtig waren, wenn man sie denn nur mal ließ.

Insbesondere am 3. Oktober hatte das PHILHARMONISCHE ORCHESTER in den Blechbläsern keinen guten Tag. Da sorgten Verspieler, speziell in den Leitmotiven, schon für das eine oder andere Zucken. MK