POVERO RIGOLETTO

Verdi in Lübeck, das ist so eine Sache. Man weiß, weshalb man hingeht, wen man hören will und was lieber nicht.

Die gute Nachricht ist, daß man einen Tenor gefunden hat, der über die nötigen Mittel gesanglich und im Spiel verfügt, die Partie mühelos zu bewältigen. Dmitri GOLOVNIN, in Lübeck kein Unbekannter, brachte den Duca mit einem ausgeprägten Selbstbewußtsein auf die Bühne, das in seiner stimmlichen Leistung zumeist gerechtfertigt ist. Er besitzt vielleicht nicht die durchschlagskräftigste Tenorstimme der Welt, weiß seine Mittel aber ökonomisch einzusetzen.

Ein wenig verhalten begann Gerard QUINN den Abend, fand aber im 2. Akt zur vertraut souveränen Form und gab der Titelpartie insbesondere am Schluß eine musikalisch wie darstellerisch wundervolle Charakterisierung. Durch den Rigoletto hat er die Möglichkeit, sein gleichermaßen großes Talent für Drama und Komik in einer Partie zu vereinen, was der Bariton mit sichtlichem Behagen umsetzte.

Olga PERETYATKO ließ einen schön klingenden Sopran mit gut geführten Koloraturen hören. Ihre Gilda wirkte streckenweise allerdings ein wenig teilnahmslos, beinahe beliebig. Es steht zu hoffen, daß dies der Premierennervosität geschuldet war.

Als grandios kann man die Besetzung von Wilhelm SCHWINGHAMMER als Sparafucile und Roswitha C. MÜLLER als Maddalena bezeichnen. Baßgewaltig der Bruder und mit enorm gewachsener Stimme die Schwester zeigte sich hier ein mörderisches Geschwisterpaar auf der Bühne, das auch an größeren Häusern nicht besser besetzt sein könnte.

Eine sehr interessante Erstbegegnung war die mit Szymon CHOJNACKI als Marullo (und Gerichtsdiener), der bereits über eine sehr schöne Baritonstimme sowie einen ausgeprägten Hang zur Rollencharakterisierung verfügt. Marek WOJCIECHOWSKI (Monterone) konnte nicht mehr so überzeugen wie noch vor einigen Jahren in Schwerin. Dafür klang seine Stimme zu hart und rauh.

Ein Glücksgriff war dagegen die Besetzung des Grafen Ceprano mit Steffen KUBACH, der mit gut geführter Stimme und eindringlichem Spiel die Partie ungemein aufwertete. Sonja FREITAG (Gräfin Ceprano), Daniel SZEILI (Borsa) und Wioletta HEBROWSKA (Giovanna) ergänzten den positiven Ensembleeindruck. Die Besetzung des Pagen mit zwei ganz jungen Damen war irgendwie überflüssig. Louise HEGGE und Antonia REINLÄNDER schlugen sich aber wacker.

CHOR und EXTRACHOR waren exzellent disponiert und meisterten auch die absurdeste Choreographie. Die Leitung durch Joseph FEIGL brachte hier wieder ein sehr positives Ergebnis.

Von der musikalischen Leitung im Graben konnte man dies leider nicht sagen. Das Dirigat von Philippe BACH schleppte sich wieder durch den Abend, bis baßinitiativ im letzten Akt das Tempo endlich deutlich anzog. Die PHILHARMONISCHE ORCHESTER hat man auch schon inspirierter gehört, aber sie blieben zumindest weitestgehend fehlerfrei.

Schlußendlich brachte die musikalische Seite die Pluspunkte des Abends, die szenische Umsetzung dagegen nur zweieinhalb Stunden konzeptloser Langeweile. Die Frage danach, wo Regisseur Reto NICKLER eigentlich hinwill, gibt man rasch auf. Es wäre unfair den Sängern gegenüber gewesen, wenn man sich das Hirn zermarterte, anstatt einfach zuzuhören. Immer, wenn man glaubte einen Ansatz gefunden zu haben, hatte sich selbiger auch schon wieder verflüchtigt. Die Charakterisierungen der Figuren sind ebensowenig greifbar.

Das Bühnenbild von Momme HINRICHS und Torge MØLLER (fettFilm) besteht zwei Akte lang aus einem ausklappbaren Fernseher, um sich dann im 3. Akt in eine Showbühne zu verwandeln. Sollte hier vielleicht die moderne Showwelt angeprangert werden? Mhm.

Dafür würden - allerdings auch nur zum Teil - die Kostüme von Nina LEPILINA sprechen. Da steckt z.B. Rigoletto zu Beginn in dem scheußlichsten Kostüm, das ich bisher jemals auf einer Opernbühne gesehen habe. Dieses Goldflitter-Pseudo-Piratenoutfit würde nicht einmal Captain Jack Sparrow freiwillig tragen.

Alles in allem ein buntes, zeit- und raumloses Durcheinander.

Im Programmheft fand sich eine Erläuterung zur Verwendung von Videoinstallationen als Mittel der Gestaltung im Theater der für selbige Verantwortlichen von fettFilm (s.o.). Ein interessanter Artikel, der leider gerade in dieser Inszenierung aber keine Anwendung zu finden schien. Die Videos, die gezeigt wurden, trugen jedenfalls weder zum Stück selbst, noch zur Verdeutlichung der Inszenierung bei - so man sie denn auf den z.T. recht winzigen Bildschirmen überhaupt aus dem 3. Rang erkennen konnte (wie man dies besser einsetzt, kann man sich z.Zt. übrigens in der "Walküre" anschauen).

Dem Regisseur und seinem Team ist zumindest eines gelungen: so gnadenlos einmütig ist in Lübeck lange niemand mehr ausgebuht worden. Irgendwie auch eine Leistung.

Als Fazit bleibt das, was Verdi-Inszenierungen am Theater Lübeck schon in den letzten Jahren begleitet hat: Ohren auf und durch. Egal, was man hierüber hört, es lohnt sich schon allein der Sänger wegen hinzugehen. AHS

P.S. Eine Frage meiner Begleitung fand ich besonders überlegenswert: Sind blutverschmierte Videokassetten in einem Sack eigentlich echte Splattermovies?