"WAS IST DENN DRAN AN ARGENTINIEN?"

Vor einigen Jahren gab es am Lübecker Theater eine Veranstaltung mit dem Thema "Einblick in die Übersetzer-Werkstatt", in der man sich mit den Gründen beschäftigte, weshalb Oper besser originalsprachlich aufzuführen sei. Dieses hätte man bei Musicals, insbesondere bei"Evita", auch beherzigen sollen, da von den genialen Texten Tim Rices in der deutschen Übersetzung so gut wie gar nichts übrig geblieben ist. So verschleiert es dort, wo es schmutzig werden könnte, und wird überdeutlich, wo es nicht not täte. Gerade "Don't cry for me Argentina" klingt stellenweise nach Folklorsatire à la "Guck doch nicht immer nach dem Tangogeiger hin" in der unsterblichen Interpretation von Curt Bois.

Michaela KOVARIKOVA gelingt es allerdings, die textlichen Schwächen besonders nach Evas Ankunft in Buenos Aires zu überspielen. Sie liefert eine achtbare Interpretation aller Facetten Evitas, ist aber gerade in den temperamentvollen Szenen stark, wenn sie sich traut zu zeigen, welche Power eigentlich in ihrer Stimme steckt.

Thomas CHRIST fehlte für den Che leider die prononcierte Artikulation, er kämpfte am heftigsten mit dem deutschen Text und vor allem der Rhythmik. Irgendwie wurde man den gesamten Abend den Eindruck nicht los, daß er sich einige Meter neben der Rolle befand, so daß es Eva ein echter Gegenspieler mangelte.

Nach seinem großartigen Erfolg als Javert zeigte Steffen KUBACH auch als Peron ein differenziertes Rollenporträt zwischen Diktator mit Charisma und Pantoffelheld, den man zum Regieren hätte tragen müssen. Interessant das Phänomen, daß seine Stimme gerade auch in den besonders opernhaften Musicalpartien ihre stärkste Wirkung entfaltet, stärker als in der Oper selbst; vielleicht ist er hier entspannter, zeigt aber in jedem Fall, welches musikalische Potential in ihm steckt.

Davon besitzt auch - übrigens egal wo - Patrick BUSERT mehr, als er zur Zeit zeigen darf. Sein Magaldi jedenfalls ist erneut eine grandiose Charakterstudie - dieses Mal eines von sich selbst überzeugten, aber stimmlich potenten Tourneetenors mit durchaus nachvollziehbarem Karrieresprung. Bitte wieder mehr!

Grandios wieder der CHOR und EXTRA-CHOR DES THEATER LÜBECK (Danke, Joseph FEIGL) sowohl in den vielen kleinen Rollen als auch als Klangkörper insgesamt.

Nach dem Gehetze durch die "Mis" gab sich Ludwig PFLANZ in der "Evita" etwas entspannter und ließ Sängern wie Orchester mehr Zeit zum Entwickeln der Klangbilder. Trotzdem könnten die Tempi, gerade auch weil der deutsche Text nicht besonders singbar ist, durchaus noch etwas entspannter sein. Das PHILHARMONISCHE ORCHESTER spielte auf gewohnt hohem Niveau.

Die TANZ-STATISTERIE zeigte sich nicht so schlimm wie sonst; vor allem war es erfreulich, daß die Choreographie (Martina WÜST) sich nicht in den Einheitsbewegungen der vergangenen Jahre bewegte. Die Inszenierung von Jörg FALLHEIER tut nicht weh, enthält aber auch wenig an eigener Inspiration. Bühnenbild und Kostüme (Heiko MÖNNICH) waren praktikabel und angemessen. Sehr schön war das Wiedersehen mit Eliza Doolittles heißgeliebtem Teddy, der diesmal allerdings weniger Eigenperformance zeigen durfte.

Eine sehens- und hörenswerte Produktion, besonders für die Leute, die wissen, aus welchen Gründen sie gern ins Theater Lübeck gehen.
AHS & MK