"PENTHESILEA" - 9. April 2009

Der Schweizer Othmar Schoeck (1886-1957) gehört heute zu den weitgehend Vergessenen der Musikgeschichte. Ab und an hört man einige seiner vielen Klavierlieder, Dietrich Fischer-Dieskau hat sich zudem für das "Notturno" für Bariton und Streichquartett eingesetzt, und der Norddeutsche kennt aus inhaltlichen Gründen vielleicht noch den Titel der Kantate "Vom Fischer un syner Fru".

Schoecks Opern haben es von Anfang an schwer gehabt. Selbst die dem Namen nach bekannteste, "Penthesilea", fand trotz erfolgreicher Uraufführung am 8. Januar 1927 an der Dresdener Oper weiter keine Verbreitung, das Rennen bei den Zeitgenossen machten Hindemiths zwei Monate vorher ebenfalls in Dresden herausgekommener "Cardillac" (welcher Intendant würde sich das heute noch trauen? - und die Partituren termingerecht bekommen …) und vor allem der gerade einmal vier Wochen später in Leipzig uraufgeführte "Jonny spielt auf" von Ernst Krenek.

In der Rückschau erscheint das durchaus verständlich. Schon das Libretto, für das Schoecks Cousin Leon Oswald die Kleistsche Tragödie auf Opernlänge reduzierte, sprachlich aber ansonsten nicht veränderte, ist schwierige Kost. Und musikalisch befand Schoeck sich zwischen sämtlichen Stühlen: Einerseits hatte er kompositionstechnisch oder stilistisch nichts völlig Neues oder gar skandalträchtiges zu bieten, andererseits dürfte ein konservativerer Geschmack an der spröden Melodik und dem recht ungewöhnlichen Orchesterklang, der mit seinen nur vier Violinen, aber zehn Klarinetten sowie reichlich Blech und Schlagwerk als "bronzen" oder "gepanzert" charakterisiert wurde, nur wenig Gefallen gefunden haben. Schoeck selbst empfand bei der Uraufführung das lyrische Element als zu kurz gekommen und erweiterte die Szene Penthesilea-Achill um ein Liebesduett. Aber auch mit dieser Annäherung an die Konventionen kam es nur zu Folgeproduktionen in Zürich (1928) und Leipzig (1942).

Nach dem Krieg gehörte Schoeck dann obendrein zu den "Unzeitgemäßen", der Focus verlagerte sich auf Schönberg und seine Mitstreiter und Nachfolger. Gerade einmal zwei Produktionen hat es bis 1979 gegeben, 1957 in Stuttgart unter Ferdinand Leitner mit Martha Mödl und 1968 erneut in Zürich (was in der internationalen Presse vermutlich unter Lokalpatriotismus verbucht wurde). Erst ab den Achtzigern wendete sich das Blatt, wobei sich vor allem zwei Dirigenten hervorgetan haben. Gerd Albrecht leitete sowohl eine konzertante Aufführung bei den Salzburger Festspielen 1982 (die zugleich die erste offizielle Platteneinspielung wurde) als auch die Premiere in Dresden im letzten Jahr. Und der Schweizer Mario Venzago brachte nach einer konzertanten Version im Jahr 1999 vor zwei Jahren in Basel eine vielbeachtete Produktion mit Hans Neuenfels als Regisseur heraus.

Venzago nahm auch einige Veränderungen in der Partitur vor, die für die Lübecker Aufführung übernommen wurden. So übertrug er viele der Melodram-Passagen auf eine neu geschaffene Frauenrolle für eine Schauspielerin (die Oberste der Amazonen, die es bei Kleist gibt, in der Oper aber eigentlich nicht), um den Sängern den schwierigen Wechsel zwischen sprechen und singen möglichst abzunehmen - und vielleicht auch in der Erkenntnis, daß Kleists verschachtelte Sätze, die man schon als Leser mitunter nicht sofort überschaut, in gesprochener Form durch ein zumeist internationales Ensemble kaum befriedigend bewältigt werden können. Zudem schwächte Venzago dynamische Vorschriften für das Orchester ab; um die Stimmen besser zur Geltung zu bringen.

Erfreulicherweise schien Philippe BACH sich daran sehr gründlich orientiert zu haben, denn er drehte an einigen dramatischen Stellen zwar kräftig auf, überzog aber nie und überraschte über weite Strecken mit einem fast kammermusikalischen und farblich ausgesprochen variablen Klangbild, bei dem das PHILHARMONISCHE ORCHESTER der Hansestadt einmal mehr seine Qualitäten unter Beweis stellen konnte.

Diese Dezenz kam vor allem der Penthesilea von Anne-Carolyn SCHLÜTER zugute, einer jugendlich-schlanken, mädchenhaften Amazonenkönigin, deren hell timbrierter Mezzo in den Forteausbrüchen einige Male an Grenzen geriet. Dafür überzeugte sie im lyrischen Bereich mit schöner Linienführung und einer sehr differenzierten Textauslotung um so mehr. Als ebenbürtiger Partner erwies sich Gerard QUINN (Achilles), auch er sehr auf Textverständlichkeit bedacht, ohne dabei je das Legato aus dem Auge zu verlieren. Und da, wo es auf Kraftentfaltung ankam, war er der deutlich überlegene.

Die anderen Partien bleiben daneben mehr oder weniger ergänzende Staffage, zu groß zwar, um nebenbei behandelt werden zu können, aber nicht bedeutend genug, um als Gegenpart zu den beiden Protagonisten zu wirken. Erfreulicherweise war auch hier das Niveau hoch; besonders die aus Basel ausgeliehene Oda PRETZSCHNER profilierte sich als Oberste der Amazonen mit einer Demonstration, wie man Kleist heute sprechen kann, mit dramatischem Feuer, aber ohne falsches Pathos. Anne BAXTERs silbrige Soubrettenstimme ergab einen schönen Kontrast zur Schwester Penthesilea, und Astrid von FEDER besaß für die Oberpriesterin der Diana genügend Autorität, um klar zu machen, wer das Sagen hat, wenn es um die Formalien geht. Auf griechischer Seite demonstrierte Daniel SZEILI mit ein paar kräftigen Tönen, daß in einer ergiebigeren Rolle von ihm mehr zu erwarten wäre.

Regisseur Alexander SCHULIN lieferte eine solide Arbeit ab, die sich ohne großes Brimborium auf die Beziehungen der Figuren untereinander konzentrierte. Ein alter Hut war freilich der Einsatz des Tangotanzens als Form des Geschlechterkampfes, aber vielleicht zollte hier der Verlegung in die Entstehungszeit Tribut, für die Cornelia BRUNN ein zerstörtes Bürogebäude als Einheitsbühnenraum entworfen hatte. Damit ließ sich problemlos leben, auch mit der Kleidung der Amazonen (Hosenanzüge für die Kriegerinnen und Kostüme mit langen Röcken für die "Verwaltungsebene"). Nur die Griechen - und speziell ausgerechnet Achill - sahen im Smoking mit glatt zurückgekämmten Haaren aus, als hätten sie den Sieg beim Party-Smalltalk errungen. HK