"FALSTAFF" - 30. Dezember 2010

Ich bin ein bekennender Fan von Anthony PILAVACHIs Lübecker "Ring" und seiner Frankfurter "Holländer"-Inszenierung, in denen witzige, clevere und spannende Momente und überraschende Lösungen den Atem stocken lassen. Auf diesem Niveau ist die "Falstaff"-Produktion leider nicht.

Die Grundidee, das Stück auf ein britisches Passagierschiff in den 1950er-Jahren nebst Reisenden aus allen möglichen Kolonien und Ländern zu verlegen, funktioniert zunächst relativ gut. Vor Einsetzen der Musik werden die Passagiere mittels Filmeinspielung beim Betreten des Schiffes vorgestellt; Falstaff reist als blinder Passagier in einer großen Kiste und haust sodann im Laderaum. Die Damen lassen sich im Wellness-Bereich des Schiffes verwöhnen, wo Fenton offenbar als Masseur arbeitet, während Dr. Cajus den Schiffsarzt mimt.

Es gibt auch später noch durchaus amüsante Momente, wenn Ford sich bei seinem Eifersuchtsmonolog beispielsweise den bayerischen Mitreisenden bei der Zeile über das Bier zur Brust nimmt, Falstaff, nachdem er mittels Korb über Bord gekippt wurde, per Ladekran wieder eingesammelt wird und diverses Meeresgetier verstreut, oder aufgrund seines Bauches nicht dicht genug an Alice herankommt, um überhaupt zu irgend etwas zu kommen. Man kann auch über den Schluß diskutieren, wo es offenbar zu einer Havarie oder ähnlichem kommt, während Falstaff samt Page im Rettungsboot entkommt, auch wenn dies in der Durchführung an ein wenig schwarzem Humor mangelt.

Was jedoch mit Fortgang des Abends zunehmend zu nerven beginnt, ist der Umstand, daß ständig hinten auf der Bühne der Chor herumwuselt auch in Szenen, die eigentlich ein Alleinsein der Protagonisten verlangen, oder im Feenlied einer der als Meereswesen verkleideten Choristen als running gag mit der Choreographie nicht klar kommt. Das lenkt einfach zu sehr vom Geschehen und der Musik ab, und man fragt sich unwillkürlich, weswegen ein Regisseur wie Pilavachi, dessen Fähigkeit zur genauen Beobachtung hier schon mehrfach gepriesen wurde, so wenig auf das Stück vertraut.

Die Bühnenbilder von Tatjana IVSCHINA sind einfallsreich, ästhetisch und poetisch, die Kostüme von Cordula STUMMEYER manchmal nicht ganz geschmackssicher überzogen, speziell was die Damen mit ihren pastellfarbenen Petticoats angeht.

Leider mußte sich Gerard QUINN in der Titelrolle als stark erkältet ansagen lassen, was vor allem im ersten Bild auffiel. Danach jedoch sang und spielte der Bariton zwar vorsichtiger und zurückhaltender als gewohnt, aber noch immer auf einem Niveau, zu dem viele Sänger glücklich wären, in gesundem Zustand fähig zu sein, einen sehr guten Falstaff. Er schaffte es, niemals die Würde zu verlieren und immer, trotz der prekären Situationen, den "Sir" nicht zu vergessen. Aufgrund dieser Leistung besteht hier ein dringendes Bedürfnis, die Produktion erneut zu besuchen, wenn Quinn wieder im Vollbesitz seiner stimmlichen Kräfte sein wird.

Eine großartige Mrs. Quickly stellte Veronika WALDNER auf die Bühne. Eine noch jugendliche, lebenslustige Witwe, deren Spaß an der Intrige deutlich spürbar war. Daß die Sängerin dazu prachtvoll singt mit vielen kleinen Nuancen ist bei ihr - auch wenn man das eigentlich nicht sagen sollte - eine Selbstverständlichkeit. Ich kann mich nicht erinnern, jemals auch nur eine mittelmäßige Leistung von dieser Sängerin gehört zu haben. Wioletta HEBROWSKA macht das Beste aus der Meg, singt ohne Tadel und ist spielfreudig.

Letzteres kann man Birgit BEER als Alice nicht absprechen, an der gesanglichen Leistung jedoch mangelt es schon heftig. Die Stimme wirkte flach, wenig lebendig, in den Höhen war einiges im Argen, die Textbehandlung ließ zu wünschen übrig. Das war nicht wirklich eine würdige Anführerin der Damen. Besser war es um ihren Gatten Antonio YANG bestellt. Dieser durchmaß die Partie des eifersüchtigen Ford ohne Probleme mit großformatiger Stimme und ist auch darstellerisch auf der Höhe. Vielleicht fehlt noch ein letztes Quentchen Rollenidentifikation, aber das kann sich sicherlich entwickeln.

Nanetta war bei Anne ELLERSIEK in besten Händen, die mit klaren Sopran sang und beim nicht unheiklen Feenlied als schaumgeborene Venus vom Schnürboden herabgelassen wurde. Die Entwicklung dieser Sängerin auch hinsichtlich Bühnenpräsenz ist überaus erfreulich. Man hätte dieser Nanetta einen besseren Ehemann als Daniel SZEILI gewünscht, denn der Tenor hatte außer Höhen, die zwischen angestrengt und unschön schwankten, wenig zu bieten. Da wäre es Nanetta vielleicht doch zu raten gewesen, dem Wunsch ihres Vaters zu folgen, denn Dr. Cajus (Patrick BUSERT) ist nicht so lächerlich gezeichnet wie in anderen Produktionen, sondern eigentlich ein ganz sympathischer Kerl, und daß der Tenor deutlich besser singt als sein Rivale, war selbst bei den wenigen Profilierungsmöglichkeiten dieser Rolle zu merken.

Hyo JONG KIM (Bardolpho) und Hyeon-Jun YEOUM (Pistola) sangen auf gutem Niveau, konnten jedoch zu keinem Zeitpunkt wirklich eigenes Profil entwickeln oder gar ihren Rollenvorgängern in der letzten "Falstaff"-Produktion vor elf Jahren vergessen machen. Robin QUINN war ein sehr präsenter, sich sehr natürlich bewegende Page Robin. Weswegen der Wirt als falsche Großfürstin Anastasia (David WINER-MOZES) über die Bühne geistert, hat sich weder mir, noch meiner Begleitung erschlossen.

Der CHOR (Leitung: Joseph FEIGL) war sehr engagiert bei der Sache, das ORCHESTER schaffte es fast, abgesehen von zwei heftigen Verspielern, seine Scharte aus der indiskutablen "Götterdämmerung" Mitte Dezember auszuwetzen. Roman BROGLI-SACHER blieb am Pult diesmal größtenteils unauffällig, wenn man davon absieht, daß ihm im zweiten Bild das Ensemble der Verschwörer gegen Falstaff geradezu zerbröselte. MK