"FALSTAFF" - 30. Dezember 2010

Die Premiere fand zwar schon am Silvester-Vorabend statt, aber sie gab doch einen Vorgeschmack auf eine jener Partys zum Jahreswechsel, bei der gefälligst alle permanent Fröhlichkeit zu demonstrieren haben, und Humor dadurch definiert wird, daß pausenlos etwas geschieht, über das zumindest irgendwer lacht. Das Problem von Regisseur Anthony PILAVACHI scheint manchmal darin zu bestehen, zuviel der Einfälle zu haben (womit er sich grundsätzlich durchaus positiv von dem einen oder anderen seiner Kollegen unterscheidet), diese Unmengen der Ideen aber nicht immer genügend sortiert und in geordnete Bahnen gelenkt zu bekommen.

Und so erstickte seine Traumreise auf der HMS Windsor (Bühnenbild Tatjana IVSCHINA), auf der Ford & Co als Passagiere, Fenton als Masseur und Falstaff, als blinder Passagier direkt neben den Weinvorräten, fungieren am schlichten "zuviel, zuviel". Die erste Szene im Schiffsbauch mit dem ob seines ebensolchen Bauches nur begrenzt bewegungsfähigen Titelhelden, um den herum alles umso schneller zu wuseln scheint, zeigte zunächst grundsolides Handwerk mit dezenter Komik, die mehr zum Lächeln als zum schenkelklopfenden Lachen aufforderte, was mir dem Stück entschieden angemessener erschien.

Ein Jammer, daß Gerard QUINN infolge eines grippalen Infekts schwer indisponiert antrat und wohl nur sang, um die Premiere nicht platzen zu lassen. Eine Beurteilung der wirklichen Möglichkeiten war so nicht möglich, doch rettete er sich immerhin mit Technik, Stil und vor allem Dezenz gekonnt über die Runden. Gerade letztere fiel zunehmend erfreulich auf, da mit dem Auftritt der vier Damen leider Hektik das Kommando übernahm; es wurde auf Teufel komm raus gerannt, gestikuliert und notfalls noch über ein paar Statisten zusätzlich für Bewegung gesorgt.

Die sich pausenlos jagenden Einfälle und Zitate quer durch die Kunstgeschichte von Malerei bis Film ließen das Auge kaum mehr zur Ruhe und das Ohr nicht mehr zu seinem Recht kommen. Sicher, einiges war wirklich witzig: das punktgenaue Tänzchen Falstaffs mit Alice zu "Quand'ero paggio" etwa, zu dem die vorausgehende Laute Alices aus dem Kofferradio kommt, oder auch die mit Geigen- und Cellokasten "bewaffneten" Bardolfo und Pistola, bei denen man ob der asiatischen Besetzung (HYO JONG KIM und HYEON-JUN YEOUM, die beide die Grippe ihres Herren in abgeschwächter Form abbekommen hatten) automatisch nach dem fehlenden dritten Mann mit dem Kontrabaß Ausschau hielt, die aber genauso gut von den "Freunden der italienischen Oper" aus "Some like it hot" hätten sein können. Auch das Einschweben Nanettas im letzten Bild als Botticellis Venus machte im Rahmen der Schiffsreise Sinn, aber gerade in dieser Szene verliert der Überaktionismus endgültig diesen Sinn, weil das Elfenlied wegen optischer Dinge vom Publikum zerlacht wird, was nicht nur total gegen die Musik geht sondern die so wundervoll jugendlich-lyrische Anne ELLERSIEK auch noch völlig unter Wert verkauft.

Neben ihr brillierte bei den Damen die ausgesprochen flotte Quickly der Veronika WALDNER, die über Spiel und variable Phrasierung herausholte, was ihr von Haus aus an pastoser Tiefe für die Rolle fehlte. Dritte im positiven Trio war Wioletta HEBROWSKA (Meg Page). Leider reichte es nicht zum Quartett, denn ausgerechnet der einzige Gast, Birgit BEER, sorgte mit scharf soubrettigen Tönen, denen die Lyrik für die Alice gründlich abging, immer wieder für unschöne Einschübe in den Ensembles.

Insofern hätte ihr Ehemann gar nicht so eifersüchtig sein müssen, denn Antonio YANG hätte bei seinen vokalen Möglichkeiten auf der Reise vermutlich problemlos akustisch angenehmere Bekanntschaften machen können.... So kraftvoll mühelos und gleichzeitig differenziert, dazu mit schönem, kernigen Timbre, bekommt man den schwierigen Monolog im 3. Bild wahrlich nicht alle Tage präsentiert.

Für den Fenton war mir Daniel SZEILI zunächst zu knapp in der Höhe, zu gerade in der Gesangslinie, mehr deutscher Operettentenor als lyrischer Italiener in der Art des Singens. Aber er steigerte sich und brachte seine schöne Ariette im 3. Akt höchst anständig über die Rampe. Und Patrick BUSERT fügte seinen vielen Charakterportraits als Dr. Cajus eine weitere scharf umrissene Figur hinzu. Ein Jammer, dass er für den "Siegfried"-Mime nicht wenigstens als Zweitbesetzung hinter dem natürlich prominenteren Arnold Bezuyen angesetzt war.

Das Lübecker ORCHESTER hat unter Roman BROGLI-SACHER in den letzten Jahren einen gewaltigen Sprung nach vorn gemacht und bei Wagner und Strauss, aber auch in der Moderne, erstaunliches geleistet. Aber diesmal wollte es nicht so recht klappen, zu uneinheitlich war das Ergebnis. Neben wunderbar präzise durchhörbaren Passagen stand Verwackeltes, die Tempoänderungen gaben häufig keinen organischen Bogen obwohl gegen die Tempi als solche nichts zu sagen war, und manches war schlicht zu laut. Verdis diffizile Partitur schien ihre besonderen Tücken zu haben. HK