"The Lighthouse"/"Vom Fischer un syner Fru" - 13. Februar 2011

Was haben die norddeutschen Küstenregionen und die deutschsprachige Schweiz gemeinsam? Im Normalfall wohl wenig, in diesem besonderen aber Einiges, hat doch das Lübecker Theater mit Roman BROGLI-SACHER einen Schweizer GMD und Operndirektor, der sich für das Opernschaffen seines Landsmannes Othmar Schoeck einsetzt - und dieser wiederum schrieb "Vom Fischer un syner Fru" auf den plattdeutschen Märchentext, der, vom Maler Philipp Otto Runge 1806 geschrieben, durch die Übernahme in die Grimm'sche Sammlung weite Verbreitung fand. Die Uraufführung der 35-minütigen "dramatischen Kantate" fand 1930 an der Dresdner Oper im Doppelpack mit einem anderen Werk von Schoeck statt; in Lübeck hatte man sich für einen reinen "Meeresabend" entschieden und vor der Pause mit "The Lighthouse" von Peter Maxwell Davies einige hundert Seemeilen weiter nördlich auf den Äußeren Hebriden begonnen - womit man leider die falsche Reihenfolge gewählt hatte, denn der etwa doppelt so lange, aber kammermusikalisch knapp komponierte, schon rein von der Story her spannende Psychothriller des auf den Orkney-Inseln lebenden Briten läßt den großorchestralen, spätromantisch wohltönenden, aber theatralisch sehr unergiebigen Schoeck als harmlosen, etwas zuckerig aufgeblasenen Nachtisch erscheinen.

Da hilft auch die szenische Aufpeppung durch Waltraud LEHNER nicht, die aus dem moralischen "Du sollst nicht alles wollen" den Kampf einer Frau um Anerkennung macht. Je weiter ihre Wünsche gehen, desto mehr verwandelt sie sich aus einer "Trutsch" zur attraktiven jungen Frau, die endlich auch als solche von ihrem Mann wahrgenommen wird, womit die Rückkehr in den "Pisspott" am Ende nicht weiter schwer zu fallen scheint; sie hat erreicht, was sie will - erreicht allerdings mit viel Gerenne und einer Hektik, die dann doch wieder ins zeigefingerhafte driftet, das Stück bleibt auch in dieser Form so simpel plakativ, wie es inhaltlich nun einmal ist.

Völlig anders geht es im "Lighthouse" zu, dessen düster nebelige Atmosphäre sich schon im irgendwo zwischen Leuchtturm und Bohrinsel changierenden Bühnenbild von Stefan HEINRICHS widerspiegelt (nach der Pause wird man Bruchstücke davon wiederfinden, ohne daß die Wirkung erhalten bliebe). Die Geschichte von den drei Leuchtturmwärtern, deren spurloses Verschwinden die drei (identisch besetzten) Offiziere des Versorgungsschiffes vor einem imaginären Tribunal erklären müssen, stimmt in Waltraud Lehners Umsetzung einfach deswegen, weil sie NICHT alles erklärt, sondern die bewußten Unklarheiten der Geschichte als solche beläßt, indem sie etwa die Ballade vom angeblich geschehenen Mord an der Nachbarin, mit der einer der drei Wärter vielleicht seine Seele erleichtert, vielleicht aber auch nur den Psychokrieg der vom Lagerkoller befallenen Männer anheizt, im vom Wasser bedeckten unteren Raum des Leuchtturms szenisch umsetzt, im Halbdunkel, in dem man nicht wirklich Genaues weiß - was die Spannung bekanntlich erhöht.

Und dort, wo man wirklich sieht, wie die Wärter sich bekriegen oder die Offiziere ihre - gespielte? - Unsicherheit zu verbergen suchen (denn am Ende scheint es so, als hätten diese die sie angreifenden Wärter getötet), hat sie absolut präzise gearbeitet - ein tolles Stück in einer ebensolchen Umsetzung, das den "Nachtisch" nicht nötig gehabt hätte, aber mit 75 Minuten kann man natürlich keinen Opernabend bestreiten...

Gesungen - und gespielt -wurde an diesem Nachmittag (der ersten Aufführung nach der Premiere) durchweg ausgezeichnet, wobei für mich Andreas HALLER besonders hervorstach. Sein Baß kam nicht nur bei Schoeck als Butt rollendeckend gemütvoll verschlafen knurrend - und eindeutig verstärkt - aus dem Off, sondern er demonstrierte auch vor der Pause AUF der Bühne als Arthur/Officer 3, daß er die Verstärkung wahrlich nicht nötig hat, so eindeutig dominierte er in puncto Volumen die beiden Kollegen, ohne dabei ins "draufhauen" zu verfallen. Und obendrein machten ihm auch die extremen Höhen und Tiefen dieser Partie keinerlei Probleme, bravissimo!

Gerard QUINN zeigte als Blazes/Officer 2 einmal mehr, wie sich auch moderne Musik mit Schöngesang verbinden läßt, und daß eine psychisch gestörte Figur gewinnen kann, wenn man sie mit stimmlicher Eleganz und genauer Wortbehandlung interpretiert. Und als Muttersprachler ist er hier natürlich ohnehin im Vorteil. Patrick BUSERTs Tenor fällt weder unter die Kategorie Belcanto noch besitzt er eine "Röhre", aber was er aus seinen Mitteln gestalterisch macht, ist auch diesmal (Sandy/Officer 1) ein Vergnügen, und schauspielerisch ein eindringliches Rollenportrait mehr.

Nach der Pause saß er dann auch noch zur Sicherheit im Graben, um notfalls sofort für den als indisponiert angesagten Daniel SZEILI einsteigen zu können, was sich aber als unnötig erwies, da Szeilis lyrischer Tenor unangefochten über Höhen und Orchester hinwegtrug und sich hinter dem ebenfalls schön lyrischen Sopran seiner "Fru" Anne ELLERSIEK nicht zu verstecken brauchte.

Funktionieren tat dies allerdings auch, weil Gastdirigent Ralf LANGE Schoecks großes ORCHESTER zwar zwischendurch klangschön aufrauschen ließ, bei den Sängern aber immer wieder klug zurücknahm; eine Tugend, die er zuvor auch bei Maxwell Davies walten ließ, dessen zwischen mitunter gewollt traditionell wirkender Oberfläche versteckte harmonische und rhythmische Gemeinheiten, die dem Stück eine permanente Gefährlichkeit verleihen, sehr präzise herausgearbeitet wurden. Das klang nach Proben-Feinarbeit - und das Orchester hatte sich seinen Applaus am Ende auch redlich verdient. HK