"LA TRAVIATA" - 15. März 2012

Es ist wirklich schade, daß in den letzten Monaten keine Zeit war, nach Lübeck zu fahren. Diese "Traviata"-Vorstellung zeigte, wie sehr das dortige Opernensemble doch eine Reise wert ist.

Für Lea-Ann DUNBAR konnte man sich schon zu ihrer Zeit in Hildesheim begeistern. Natürlich ist ihre Stimme inzwischen größer und klingt auch etwas dunkler, aber immer noch ausgesprochen schön. Geblieben sind die unbedingte Hingabe an die Rolle sowie die vokal und darstellerisch durchdachte Gestaltung der Partie. Ihre Violetta wirkte von Anfang an wie ein Fremdkörper in der überdrehten Pariser Halbwelt, wurde aber (stets im Kompromiß mit der Inszenierung) mit viel Gefühl und Aufrichtigkeit dem Publikum präsentiert.

Dmitry GOLOVNINs Alfredo schloß sich dem Treiben in dieser überspannten Welt anscheinend nur zu gern an. Ein wenig mehr Begeisterung für die Rolle an sich wäre an diesem Abend vielleicht wünschenswert gewesen. Beinahe zuviel des Guten war dieser stets latent vorhandene Übermut. Ähnlich verhielt es sich auch mit der musikalischen Seite der tenoralen Interpretation. Da wird mit dem ausgesprochen gut klingenden Material verschwenderisch geprotzt - auch dort, wo weniger vielleicht mehr gewesen wäre. Hier und da wird rollenkonform ein wenig geschlampert. Wenn es darauf an kommt, singt der Tenor allerdings so, daß jeder Gesangslehrer stolz wäre.

Die gesanglich beste Leistung konnte man dann aber doch wieder von Gerard QUINN (Giorgio Germont) hören. Die Stimme ist mittlerweile beinahe zu groß für die Lübecker Verhältnisse. Ihr perfekter Sitz und seine hohe Musikalität erlauben dem Bariton eine vokale Gestaltung, die ihresgleichen sucht. So bricht bei "il tuo vecchio genitor" die Stimme plötzlich, und für einen Moment klingt Germont um Jahre gealtert. Überhaupt ist Alfredos Vater hier ausgesprochen manipulativ. Er gibt sich immer korrekt, im Verhalten seiner Gesellschaftsschicht entsprechend, höflich, fürsorglich sogar - doch stets mit Blick auf die Verwirklichung der eigenen Ziele (aus Sicht einer Tochter möchte ich mit Alfredo eher nicht tauschen).

In den kleineren Partien wußte besonders Veronika WALDNER als Flora zu begeistern, die aus einer von der Regie eher oberflächlich und plakativ angelegten Interpretation einen echten Szenenmittelpunkt machte. Auch ihre Kollegen Hyo Jong KIM (Gastone), Hyeon-Jun Yeoum (Douphol), Johan Hyunbong CHOI (Marquis), Therese FAUSER (Annina), Enrico Adrian RADU (Giuseppe) und Andreas HALLER (Grenvil) machten ihre Sache sehr gut, wobei die starke Baß-Fraktion unbedingt gesondert erwähnt werden muß. Die Regie war auf die eigentlich recht überflüssige Idee verfallen, Alfredos Schwester als stumme Rolle auf die Bühne zu bringen. Hilli EICHENBERG hauchte dieser Idee glücklicherweise viel Leben ein.

Auch der Lübecker CHOR und EXTRACHOR (Leitung: Joseph FEIGL) hatte trotz der abstrusen Regie eigentlich einen guten Abend. Unglücklicherweise stand der gelungenen Kollektivleistung das Dirigat durch Mark SHANAHAN im Weg, das immer wieder für Irritationen auf der Bühne sorgte. Das PHILHARMONISCHE ORCHESTER klang solide. Allerdings hatte man am Premierenabend im Herbst einen schwungvolleren und mehr inspirierten Verdi gehört als an diesem Abend.

Die Inszenierung von Gregor LÜTJE erschließt sich auch beim zweiten Sehen nicht. Alles wirkt zusammengewürfelt. Mit dem Chor konnte der Regisseur anscheinend gar nichts anfangen oder er wollte hier zuviel. Glücklicherweise ist die Produktion bereits jetzt recht abgespielt, und in diesem Fall zeigt sich die Devise "jeder macht, was er kann" doch wieder als die bessere Alternative.

Die Kostüme (Constanze SCHUSTER) schwanken wie so oft zwischen passend (Alfredo) und recht häßlich (z.B. bei Flora). Bunt allein steht selten für Inspiration. Der gesamte Abend spielt mehr oder weniger im gleichen Bühnenbild (Stefan HEINRICHS), wobei der Hintergrund hin und wieder wechselt. Auch hier scheint bunt eine wichtige Direktive gewesen zu sein. (Allein der fast dauerpräsente Koffer Violettas ließ mich schmunzelnd an einen gewissen Gerhard Magenheim aus Wien denken, der daran wohl seine wahre Freude gehabt hätte.) AHS