"PARSIFAL" - 2. September 2012

Wagners "Parsifal" kann einem, das weiß ich nur zu gut, verdammt lang werden. Es kann aber auch, und das habe ich gerade gelernt, ein recht kurzweiliger Abend voller neuer Perspektiven sein.

Das Theater Lübeck hat als erste Opernpremiere der neuen Spielzeit Wagners letztes Werk auf die Bühne gebracht. Die Erwartungen waren entsprechend der Aufführungstradition der vergangenen Jahre und besonders nach dem zuletzt gestemmten, ausgesprochen erfolgreichen Ring hoch.

Regisseur Anthony PILAVACHI macht aus der religiös-verkopften, musikalischen Dichtung um Gral, Gralsritter, dem ewigen Kampf gegen das Böse und die Versuchung, aus der Geschichte wie der reine Tor die Gesellschaft altersstarrer Männer erlöst, die Vision einer Nahtoderfahrung. Die Idee erschließt sich vielleicht nicht sofort, macht aber über den Abend gesehen durchaus Sinn.

Hier liegt auch das große Plus der Wagnerinszenierungen Pilavachis. Es gibt keine Ideen, die ins Nichts führen. Jeder Gedanke wird zu Ende gedacht und nichts, wirklich gar nichts kommt nur zur reinen Provokation auf die Bühne. Man kann den Ideen folgen und versuchen, sich mit ihnen auseinanderzusetzen, oder sich auch nur eine Vorstellung lang ausgesprochen gut unterhalten lassen. Beides funktioniert, und beides macht Spaß.

Das Bühnenbild (Ausstattung: Tatjana IVSHINA; Licht: Falk HAMPEL) lebt von geschickten Perspektiven, wie beifällig wirkenden, aber doch wirkungsvollen Details und neuen Blickwinkeln. Dieser "Parsifal" ist in gewisser Weise dezentralisiert. Jede Figur, jede Gruppe hat ihren Moment. Und wie die Bühnengestaltung lebt die gesamte Produktion von Bildern, von Symbolen. Von dem erlegten Schwan bis zum Schlußbild, man erhält nie das, was man erwartet, und entdeckt viel, wenn man aufmerksam ist.

Nicht nur die in die Produktion, auch die auch in das Sängerensemble gesetzten Erwartungen waren hoch - und man wurde nicht enttäuscht.

Ausrine STUNDYTE gelang es wunderbar, beide Seiten Kundrys, die der Dienerin auf der Gralsburg und die des Geschöpfs Klingsors, ohne jeden Bruch gleichwertig darzustellen. Ihrer grandiosen musikalischen Interpretation tut diese Komplexität in der Darstellung keinerlei Abbruch. Im Gegenteil, mal kraftvoll, mal zerbrechlich klingend fügt ihre Stimme sich nahtlos zu Spiel und Text und offenbart so künstlerische Perfektion.

Seinen wirklich großen Moment hat der Parsifal dieser Produktion zwar erst im letzten Aufzug, doch Richard DECKER spielte den Toren zwei Akte lang so überzeugend, daß die letztendliche Verwandlung nicht nur gelungen, sondern tatsächlich wundersam anmutete. Es war faszinierend, wie sich plötzlich das Gebaren, die gesamte Haltung des Sängers änderten. Auch stimmlich steigerte er sich von Aufzug zu Aufzug, was schlußendlich in einem grandios gesungenen "Nur eine Waffe taugt" endete. Eine rundum imponierende Leistung, engagiert und weitab von reinem heldischem Herumstehen.

Eigentlich ist Amfortas' Dauerleiden eher langweilig. Eigentlich, denn hier wird man von diesem Empfinden weg hin zu einer überraschend vielschichtigen Figur geführt. Amfortas, der nur widerwillig dem Drängen der Gralsritter nachgibt, der körperliche Qualen erdulden muß, um den Gral erscheinen zu lassen, und der immer wieder zu jener Frau im Zaubergarten zurückkehrt.

Gerard QUINN ist die perfekte Besetzung für einen so komplexen Charakter. Wie auch immer er einen Weg gefunden hat, die Figur erschien plötzlich menschlich, das Leiden nachvollziehbar, mitfühlbar. Mag es am Farbenreichtum der Stimme liegen, ihrem makelloser Klang oder vielleicht doch am darstellerischen Engagement, in jedem Fall war es gelungen.

Igor LEVITAN ist neu am Theater und zwar als Mitglied des Opernelitestudios. Sein Einstand als Amfortas' verbitterter und nörgelnder Vater Titurel ist definitiv gelungen. Nach dieser bereits vielversprechenden Leistung würde man gern mehr in einer längeren Rolle hören.

Spaß am Bösesein in Wagner-Partien hat augenscheinlich Antonio YANG. Sein Klingsor besitzt all die Verve, all die Lebendigkeit, die man sich von einem Interpreten dieser Partie wünscht. Rollendeckend raumbeherrschend und stimmlich in Topform nutzt er den zweiten Aufzug für einen fulminanten Beweis seines Könnens.

Albert PESENDORFER wirkt in all diesem ausgesprochen statuarisch. Man sieht und hört einen Gurnemanz bar jeder (Selbst-) Ironie, was schade ist, denn so hat die Partie ihre ermüdenden Längen und offenbart, was üblicherweise am "Parsifal" so anstrengend ist: endloser Schöngesang, bei dem nur die Worte die Geschichte erzählen.

Daß die Knappen irgendwann die Flucht ergriffen, war so immerhin verständlich. Wioletta HEBROWSKA, Anne PREUß, Daniel SZEILI und Patrick BUSERT gaben sich als diese dafür ebenso quicklebendig wie stimmlich ausgesprochen präsent. Als 1. und 2. Gralsritter waren Tomasz MYSLIWIEC und Johan Hyunbong CHOI mit Spaß und eindrucksvollen Stimmen bei der Sache.

Die gut disponierten Zaubermädchen Andrea STADEL, Rebekka REISTER, Wioletta HEBROWSKA, Monika REINHARD, Anne ELLERSIEK und Valentina FETISOVA wurden von den Damen des Chors spielfreudig unterstützt.

Auch die Herren von CHOR und EXTRACHOR machten ihre Sache ausgesprochen gut. Joseph FEIGL hat hier in der Chorleitung wieder einmal wahre Wunder gewirkt.

Das PHILHARMONISCHE ORCHESTER hatte ebenfalls einen wirklich guten Abend und spielte so sauber wie inspiriert. Die Leitung des Abends durch Roman BROGLI-SACHER war einwandfrei und bar jeder Längen.

Anthony Pilavachi und sein Team haben das Werk einmal kräftig durchgeschüttelt, den Staub entfernt und gemeinsam mit dem Lübecker Opernensemble ein spannendes Drama über Liebe, Leid und Fanatismus daraus gemacht.

Ist das nun "Parsifal" wie Richard Wagner ihn sich gedacht haben könnte? Wohl eher nicht, aber ganz ehrlich, das ist mir in diesem Fall auch völlig egal. AHS