"DIE TOTE STADT" - 3. Mai 2013

Mit gerade einmal 23 Jahren schrieb der später in Hollywood als Filmkomponist erfolgreiche Erich Wolfgang Korngold eine der interessantesten und vielschichtigsten Opern, die ich kenne. Musikalisch pendelt sie irgendwo zwischen dem jeweils Besten von Strauss, Wagner und Puccini mit leichten Operettenanklängen. Sehr melancholisch und traurig, dabei aber dennoch stets heiter erzeugt sie eine Grundstimmung, die in der Form ziemlich einzigartig sein dürfte und förmlich danach schreit, nein viel eher schmachtet, zum Repertoire eines jeden Opernhauses zu gehören.

Das Theater Lübeck nahm sich nun des Stückes an. Regie führte Dieter KAEGI, der vor ca. 10 Jahren am selben Haus zahlreiche Verdi-Opern in Grund und Boden inszenierte, dafür später aber ein brauchbares "Schlaues Füchslein" auf die Bühne brachte. Wirklich überzeugen konnte er mich mit seiner Sichtweise nicht. Paul war mir einfach zu normal. Die Motivation für seinen Bruch mit Frank und das Hadern mit seinem Leben nach dem Traum waren nicht ersichtlich.

Brügge war zudem zu wenig präsent, wenngleich das Bild mit dem "Tod", der die beiden Kirchtürme im 3. Akt hält, sehr viel Eindruck gemacht hat, ebenso wie der Prospekt im 2. Akt. Darüber hinaus sehe ich nicht, daß sich Marietta so respektlos verhält, sich auf dem Bild von Marie herum zu räkeln. Positiv zu erwähnen ist jedoch das Schlußbild, das die Frage offen läßt, ob Paul denn tatsächlich Brügge verläßt oder nicht.

Bruno SCHWENGL entwarf das Bühnenbild und die Kostüme, welche nicht unbedingt einen guten Einfluß auf die Stimmung hatten. Pauls Wohnung ist mir nicht beklemmend genug. Es gibt ein großes Sofa auf der Bühnenmitte, an dem das Portrait Maries lehnt, eine Schatulle mit ihrem Haarschopf auf dem Boden und einen simplen Schrank als "Kirche des Gewesenen", sowie zahlreiche Möbelstücke (?) im Hintergrund, die die ganze Zeit unter einem weißen Tuch verborgen sind. Auch das Kostüm Paul gefiel mir nicht. Das Seidentuch paßt nicht zu ihm, durch welches er zu weltmännisch wirkte. Die restlichen waren unspektakulär.

Daß die "tote Stadt" so selten aufgeführt wird, hängt sicherlich auch mit den immensen Herausforderungen an die männliche Hauptrolle zusammen. Paul muß fast die ganze Partie im Passaggio singen und zahlreiche Töne in der Vollhöhe gegen ein fettes Orchester ansingen. Dieses gelang Richard DECKER sehr souverän. Es fehlte allerdings noch das letzte Quentchen, um aus einer guten eine sehr gute Interpretation herauszuholen, die man von ihm aus anderen Rollen kennt. Er sang eher auf Sicherheit, vielleicht auch aus Rücksicht darauf, daß er zwei Tage später an selber Stelle den Parsifal gestalten sollte.

Großartige Leistungen sind mittlerweile quasi zum Markenzeichen von Ausrine STUNDYTE geworden. Sie überzeugte auf ganzer Linie als sehr differenzierte Marie/Marietta. Sie war nicht nur eine dahergelaufene Tänzerin, sondern vermochte glaubwürdig zu vermitteln, weswegen Paul sich so für sie interessiert. Spannend war auch zu beobachten, wie sie im "Glück, das mir verblieb" plötzlich den Stil änderte, so daß klar war, daß dort nicht Marietta, sondern Marie singt. Stundyte ist zudem eine hervorragende Darstellerin, die auch in der sehr expliziten (und dabei ziemlich textnahen) Szene mit Gaston, Victorin und Frank ihre Würde behielt. Es bleibt zu hoffen, daß sie in der nächsten Spielzeit dem Theater erhalten bleibt.

Daß Frank Pauls Freund sein soll, kaufte ich Antonio YANG überhaupt nicht ab. Er klang so als ob er mental schon beim Klingsor in zwei Tagen war. Dafür sang er das Lied des Pierrot erstaunlich leicht und sehr zufriedenstellend. Wioletta HEBROWSKA konnte als Brigitta auf ganzer Linie überzeugen.

Die Nebenrollen waren angemessen mit Steiunn SKJENSTAD (Juliette), Anne ELLERSIEK (Lucienne) und Tomasz MYSLIWIEC (Graf Albert) besetzt und auch Daniel SZEILI als Victorin fiel nicht ganz so negativ auf wie sonst. Die stumme Rolle des Gaston übernahm David WINER-MOZES.

Am Pult der LÜBECKER PHILHARMONIKER stand Brian SCHEMBRI. Es gibt eigentlich so gut wie keine Kritikpunkte, am gravierendsten ist jedoch der, daß er häufig zu laut war und so die Protagonisten zudeckte, so daß diese nicht so singen konnten wie sie es gewollt und gekonnt hätten, worunter insbesondere Richard Decker zu leiden hatte. Die kleinen Chor-Parts wurden vom HAUSCHOR (Joseph FEIGL), sowie dem Kinder- und Jugendchor VOCALINO (Gudrun SCHRÖDER) kompetent gesungen. WFS