"DIE TOTE STADT" - 2. Juni 2013

Woran es auch immer lag, daß der Zuschauerraum des Lübecker Theaters beinahe bis auf den letzten Platz besetzt war, der Abend war dies und die Begeisterung des anwesenden Publikums in jedem Fall wert.

Nach der sehr gelungenen Korngold/Krenek-Kombination im vergangenen Jahr, kam nun mit "Die tote Stadt" Korngolds wohl bekannteste Oper in Lübeck auf die Bühne.

Regisseur Dieter KAEGI hat hier auf die sonst in Lübeck von ihm gewohnten Mätzchen verzichtet und zeigt mit dieser Produktion eine überraschend stringente, stückkonforme Interpretation. Ähnlich wie bereits beim "Schlauen Füchslein" vor einigen Jahren wird schlüssig die Geschichte des Stücks - teilweise in ausgesprochen schönen Bildern (2. Bild; Fronleichnams Prozession) - erzählt. Die Beziehungen zwischen den einzelnen Personen werden ausgiebig beleuchtet und mit viel Liebe zum Details wiedergeben.

Das Bühnenbild ist schlicht, aber ausgesprochen wandelbar und gibt mit seinen verschiedenen Ebenen schnellen Szenen- wie Stimmungswechseln viel Raum. Die Kostüme (beides: Bruno SCHWENGL) passen ins Stück ebenso, wie zu den einzelnen Figuren. Auch hier wird erfreulicherweise auf jeglichen Schnickschnack verzichtet. Die Lichtregie von Falk HAMPEL trug viel zur stimmungsvollen Präsentation bei.

Es ist schwer zu entscheiden, welchen der beiden Protagonisten man für diesen Abend als erstes nennen möchte. Ausrine STUNDYTE (Marietta/Marie) und Richard DECKER (Paul) harmonierten auch in dieser Produktion perfekt miteinander.

Natürlich weiß man um die großartigen Fähigkeiten von Ausrine Stundyte und doch staunt man immer wieder neu über ihre stimmliche wie darstellerische Wandelbarkeit. Ihre Marietta ist teilweise so zynisch, beinahe abgrundtief böse in ihrer Verachtung für die Welt wie die Erscheinung Marie nur kurze Zeit später in der von Paul erträumten überirdischen Güte beinahe heilig. Diesen Spagat nicht nur in der Darstellung, sondern auch mit der Stimme so glaubhaft zu verkörpern, ist ganz große Kunst. Doch eben nicht nur dies gelingt, auch für das 2. Bild, wenn unbekümmerte Leichtigkeit erfordert ist, paßt alles perfekt.

Richard Decker litt wohl am meisten unter dem Dirigat. Der Tenor mußte sich in seiner ohnehin mörderischen Partie immer wieder gegen die überlauten Orchesterwogen behaupten, die ihm nur hin und wieder die Chance zu den leisen stimmlichen Momenten gaben, die doch so ausgesprochen schön klangen. Nichtsdestotrotz konnte sich der Sänger den gesamten Abend über stimmstark behaupten und vergaß darüber aber nicht, seine Figur und deren charakterliche Wirrungen anschaulich wiederzugeben. Der Schlußmoment, wenn Pauls Aufbruch in ein Leben ohne Marie doch wieder zu scheitern scheint, war eine glaubhafte Symbiose aus Spiel und Musik.

Steffen KUBACH gab dem Frank anfangs (und auch zum Ende hin) einen überkorrekten, streckenweise recht kühlen Charakter, was aber stückkonform im 2. Bild ins komplette Gegenteil umschlug. Seine Interpretation des Pierrot-Liedes klang schlicht, wurde aber mit viel Sinn für Korngolds Musik gesungen.

Einfach grandios war Wioletta HEBROWSKA als Brigitta. Sie überzeugte mit ihrer Bühnenpräsenz, mit der sie sich locker behauptete, ebenso wie mit ihrer schönen klingenden, wieder ein Stück gewachsenen Stimme. Der Umstand, daß sie auch in der nächsten Spielzeit im Teil des Lübecker Ensembles sein wird, ist höchsterfreulich.

Steinunn SKJENSTAD (Juliette), Oksana POLLANI (Lucienne) und Tomasz MYSLIWIEC (Graf Albert) ergänzten schönstimmig und mit Spielfreude. Daniel SZEILI als Victorin konnte gerade eben letzteres zeigen.

Der CHOR des Theaters Lübeck (Leitung: Joseph FEIGL) hat momentan das, was man im Allgemeinen "einen Lauf" nennt. Ob im "Parsifal", im "Macbeth", in der "Thaïs" oder eben in dieser Produktion - der Klangkörper besteht alle Herausforderungen meisterlich und überzeugt mit seinem ausgesprochen harmonischen wie stimmstarken Klang. Ebenfalls gewohnt klangschön unterstützt wurde der Chor vom Kinder- und Jugendchor VOCALINO (Leitung: Gudrun SCHRÖDER).

Der einzige Wermutstropfen des Abends war, wie bereits erwähnt, das Dirigat von Brian SCHEMBRI. Die Kunstform Oper hat für mich persönlich primär mit Gesang zu tun. Wenn ich mich in erster Linie mit dem sinfonischen Klang eines Orchesters beschäftigen möchte, ziehe ich im Allgemeinen ein entsprechendes Konzert vor. Und ja, Korngolds Musik ist an vielen Stellen auftrumpfend und mächtig, aber sie spricht eigentlich für sich selbst und muß nicht extra durch überlautes Spiel des Orchesters dem Publikum nahegebracht werden. Gerade vor der Pause war es am besuchten Abend zum Teil überaus anstrengend, dem Gesang zu folgen, da sich die Sänger gegen eine fast undurchdringliche Klangwand kämpften.

Zugute halten kann dem PHILHARMONISCHEN ORCHESTER, daß es bestens disponiert war und hörbar eben nicht nur bei den herkömmlich klassischen Opern zuhause ist, sondern auch in diesem Repertoire in jedem Fall bestehen kann.

Mehr Aufführungen der Opern von Korngold und seinen Zeitgenossen wäre wirklich schön. Das Theater Lübeck hat definitiv das Zeug dazu. AHS