"TRISTAN & ISOLDE" - 10. November 2013

Der Abend begann ein wenig verwirrend. Nachdem auf der Website des Theaters Lübeck für diese eine Vorstellung erst ein Name als Tristan genannt wurde und dann irgendwann ein anderer, gab es am Abend selbst die Absage für den wohl kurzfristig erkrankten Jeffrey Dowd, der zuvor für diese Vorstellung gar nicht als Besetzung online aufgetaucht war. Wie auch immer, Peter Svensson war der Tristan des Abends, und machte das über weite Strecke gar nicht mal schlecht.

Spannender als die Besetzungsfrage war jedoch, wie sich der Regisseur dieser Wagneroper nähern würde. Es überraschte sicherlich wenig, daß Anthony PILAVACHI die Liebesgeschichte aus der eigentlich märchenhaften Einordnung herausnimmt und fast 1:1 in die Realität der Entstehungszeit verpflanzt. Wie funktioniert die Geschichte einer grenzenlosen Liebe im bürgerlichen Alltag jener Zeit? Sind die dort zu brechenden Konventionen, den ursprünglich im Werk zugrundeliegenden nicht ganz ähnlich? Ist es das, was der Komponist dem Zuhörer damit schlußendlich sagen wollte?

Der Abend wurde ein Lehrstück darüber, wie man eine Oper gekonnt in einem neuen Kontext, aus einem komplett anderen Blickwinkel zeigen kann, ohne das Stück selbst zu zerstören. Pilavachi wandelt die Beziehung Prinzessin zu ihrem Helden in die Beziehung des Künstlers zu seiner geliebten Muse. Orientiert hat er dabei wohl an dem Verhältnis Wagner-Wesendonck, was in der Intension sicherlich nicht neu ist, aber hier so überzeugend und stückkonform auf die Bühne gebracht wird, daß man diesem Weg gerne folgt. Daß jede Figur ihre eigene Geschichte, ihre ganz individuelle Charakterisierung erhielt, versteht sich von selbst.

Tatjana IVSCHINA gab der neu interpretierten Geschichte mit den von ihr gestalteten Bühnenbilder und den in jeder Einzelheit geschmackvollen Kostüme den passenden Rahmen. Statt im Cornwall einer sagenumwobenen Zeit findet man sich in den Salons des 19. Jahrhunderts, in der Welt Richard Wagners und am Ende gar im Arbeitszimmer in Venedig wieder. Einen nicht unerheblichen Teil zu der gelungenen Interpretation trug auch die Lichtregie von Falk HAMPEL bei (welch' ein Unterschied zum "Carlos" am Freitag). Stets der Musik angepaßt, wurden die unterschiedlichsten Variationen von Lichtintensität und -farben geschickt genutzt, um die erwünschte Wirkung von Musik und Inszenierung zu unterstreichen.

Edith HALLER gehört stimmlich sicherlich mit zu den derzeit besten Isolden. Die Stimme spricht in allen Lagen kraftvoll an, klingt stets gesund und besitzt auch noch die notwendige Energie für die leisen Töne am Ende des langen Abends. Trotzdem konnte ihre Irische Maid nicht vollends überzeugen. Zu sehr fehlte es an schauspielerischem Temperament, an alles hinter sich lassender Leidenschaft. So scheiterte das Konzept hier schlicht an zu statuarischen Bewegungen und fehlender Flexibilität in der Darstellung.

Kurzfristig eingesprungen fügte sich Peter SVENSSON überraschend problemlos in die Produktion ein. Hier sah man die Leidenschaft und die Freude an der Darstellung der Figur, die seiner Partnerin fehlten. Konditionell wurde es gegen Ende des zweiten Aufzugs kurzfristig etwas heikel, nach dem der Tenor sich zu dessen Beginn mit viel Verve in die musikalischen Wogen gestürzt hatte, und auch ein Blick in den Text während der Pausen wäre wohl hilfreich gewesen (Souffleuse Ursula MÜHRER hatte diesmal wahrscheinlich einen besonders harten Job). Alles in allem wurde jedoch gerade für einen Einspringer eine überdurchschnittlich gute und vor allem komplette Leistung geboten.

Königin des Abends war unbestritten Wioletta HEBROWSKA. Die junge Sängerin ist in ihrer Flexibilität und mit ihrer augenscheinlichen Freude an den unterschiedlichsten Charakteren ein wahrer Glücksgriff für Lübeck. Auch bei ihrer Brangäne paßte alles. Man hörte eine frische, unverbrauchte Stimme, die bereits über genug Reife verfügt, um den Abend nicht nur konditionell durchzustehen und eine ausgesprochen gute musikalische Leistung abzuliefern, sondern auch um jede Phrase der jeweiligen Stimmung angepaßt gefühlvoll zu artikulieren. In Spiel und Bühnenpräsenz lief sie ihren Kollegen locker den Rang ab.

Michael VIER begann den Abend mit einigen Phon zuviel, bekam dies aber im Laufe der Vorstellung in den Griff und sang im letzten Aufzug einen Kurwenal par excellence. Das Bemühen, den Freund zu retten, das grausame Spiel von Melot ungeschehen zu machen, und dem Paar letztendlich doch zu einem glücklichen Beisammensein zu verhelfen, wurde ebenso berührend gezeichnet wie die schlußendliche Verzweiflung über das Scheitern dieser Anstrengungen.

Absoluter Tiefpunkt war die gesangliche Leistung von Martin BLASIUS als König Marke. Keine Ahnung, weshalb man diesen Sänger nach der bereits schwachen Leistung als Banco überhaupt noch besetzt hat. An diesem Abend saß gefühlt kein einziger Ton richtig. Eine ausgesprochen traurige Angelegenheit.

Jonghoon YOU überzeugte dagegen als Melot. Er sang souverän und zeigte viel Liebe zur ausgefeilten Charakterstudie. Daß er derzeit noch/erst Mitglied des Opernelitestudios ist, überrascht bei ihm ebenso wie bei Kong Seok CHOI, der schönstimmig und mit viel Bühnenpräsenz den Steuermann gab. Daniel JENZ (Hirt, junger Seemann) gab hier einen guten Einstand. Besonders sein unaffektiert klingender Hirt überzeugte mit Spielfreude.

Die Aufgaben des CHORs (Leitung: Joseph FEIGL) sind in dieser Wagneroper recht überschaubar, aber auch diese kurzen Momente waren höchst professionell gesungen.

Als Dirigent des Abends vollbrachte Roman BROGLI-SACHER am Pult ein echtes Wagner-Wunder. Tönte es am Anfang hier und da noch etwas zu mächtig aus dem Graben, verlor sich das doch rasch und machte einer opulenten, klangfarbenreichen Interpretation mit streckenweise ausgesprochen lyrisch gespielten Momenten Platz. Das PHILHARMONISCHE ORCHESTER war in jeder Gruppe ausgezeichnet disponiert und klang in seiner Gesamtheit ausgesprochen homogen. Besonders hervorgehoben werden muß die exzellente Sololeistung von Wolfgang EICKMEYER (Englischhorn).

Im Januar gibt es, so die Angaben auf der Lübecker Website stimmen, einen weiteren Tristan und auch eine andere Isolde zu entdecken. Verpassen sollte man diese Produktion auf keinen Fall. AHS