"DER BARBIER VON SEVILLA" - 13. Oktober 2002

Nach der doch recht sehens- und hörenswerten "Großherzogin" beschloß ich, am nächsten Abend nochmals nach Lüneburg zu fahren. Dort stand mit dem "Barbier von Sevilla" nun eine Oper auf dem Spielplan, die eigentlich in keinem Repertoire fehlen darf. Und was soll ich sagen? Ich habe ein Theater gefunden, das mich sicherlich noch häufiger sehen wird. Das Auditorium bekam eine witzige Inszenierung zu sehen und eine gute musikalische Leistung geboten.

Der Regisseur Frederik ANNBY verlegte das Stück in einen Bühnenraum (Sascha WEIG), der aus schwarzen, weiß-fluoreszierend-umrandeten Hauswänden besteht. Vor der Ouvertüre schmiert jemand auf den dunklen Vorhang, dessen Maschine ein bißchen Öl nicht schaden könnte, "Figaro war hier", was vielleicht am Ende der Vorstellung mehr Sinn gemacht hätte. In der Bühnenmitte befindet sich eine Treppe. Leider läßt sich Annby zu banalen Slapstick-Elementen hinreißen, so stolpert Almaviva auf dem Weg zum Balkon seiner Geliebten über seinen Mantel und rennt nach Ablegen desselben gegen den Pfeiler des Balkons; Rosina stürzt beim Ruf ihres Vormunds mit lautem Gepolter vom Fenster nach hinten über. Sowohl Figaro, den Sabine MEINHARDT in eine Art Piratenkostüm steckte, als auch Bartolo tragen eine rote Haarpracht. Etwas seltsam wirkt es schon, daß alle klassische Kostüme tragen und sich in einem relativ modernen Bühnenbild bewegen. Gut gelungen ist die Szene mit des Grafen alter Ego "Don Alonso". Annby läßt ihn nicht nur lispelnd, sondern auch noch so erscheinen, daß Bartolo sicherlich nicht darauf kommt, daß er etwas von seiner Rosina wollen könnte...

Karl SCHNEIDER als Almaviva hatte wenig Probleme mit den Koloraturen und auch mit Piani konnte er aufwarten. Nur seine etwas froschige Stimme störte. Was mich sehr erstaunte war, daß er sogar die meistens gestrichene Arie vor dem Finale des 2. Aktes sang (wenn auch leicht gekürzt), die durch den peruanischen Rossini-Spezialisten Juan Diego Florez "wiederentdeckt" wurde. Es ist die Barbier-Variante von "Non piu mesta" aus "La Cenerentola". Bei diesem höllisch schweren Stück merkte man ganz klar, daß Schneider an seine Grenzen stößt. So läßt er einige Verzierungen weg, aber immerhin brauchte er sich nicht durch Aspirierungen zu helfen. Dennoch fehlte ihm das gewisse Rossinische Etwas.

Seine Rosina war mit Zdena FURMANCOKOVA sehr gut besetzt. Ihrem klaren Sopran fehlt zwar die Tiefe eines Mezzos, aber dafür war ihre Höhe sehr schön. Auch kann man ihr aus ihrer Technik keinen Strick drehen.

Ulrich KRATZ (Figaro) verfügt über einen schöntimbrierten hohen Bariton. Er zerrte sich während der Vorstellung das Bein und humpelte so über die Bühne, machte daraus aber keinen Hehl und band sein Handicap sogar in die Inszenierung ein, ganz so, als würde es in der Regieanweisung stehen. Ansonsten war seine Leistung zufriedenstellend. Bei der Parlando-Passage seiner Auftrittskavatine hat er leichte Probleme mit der Diktion, trotz des verlangsamten Tempos, das ihn trotzdem nicht hinderte, gegen das Orchester zu singen.

Martin EDELBAUER überzeugt als Bartolo lediglich da, wo er nicht singen mußte, bzw. da, wo er kein Vibrato brauchte, denn das umfaßt schon nahezu eine Terz. Dafür entschädigte seine Darstellung.

Bei Thomas FRANKE bleibt der Basilio das, was die Partie (längenmäßig) auch ist: eine Nebenrolle. Seine Verleumdungsarie läßt einen völlig kalt. In der Tiefe muß er seine Stimme künstlich abdunkeln

Ilona NYMOEN als Marzelline (die deutsche Version der Berta) hat die richtige Stimme für die Rolle. Man kauft ihr die "alte Schachtel" stimmlich sofort ab. Lukas BARANOWSKI (Fiorello) war gar nicht mal uninteressant. Wlodzmierz WROBEL (Offizier) und Oliver HENNES (Notar) ergänzten, ohne weiter auf zu fallen.

Der HAUS- und EXTRACHOR unter Deborah COOMBE konnte sich durchaus hören lassen. Vor allem gibt es bei ihnen keine nervigen Meckertenöre, die immer am lautesten singen. Urs-Michael THEUS fand am Pult der (gelegentlich patzenden) LÜNEBURGER SINFONIKER schöne, schnelle Tempi. Auch erwies er sich als guter Sängerbegleiter und hielt Bühne und Orchester größtenteils zusammen. Wolfgang Schmoller

P.S. Eine Sache möchte ich an dieser Stelle gerne noch loswerden: Sehr geehrtes Lüneburger Publikum, es wäre sehr nett, wenn Sie es einrichten könnten, daß Sie ihre Termine so legen, daß Sie NICHT mitten in der Vorstellung raus müssen. Außerdem gibt es auch Pausen, in denen man die Gespräche führen kann. Das gilt auch, wenn gerade eine Bekannte von Ihnen singt! Außerdem bin ich schon in der Lage, "Figaro war hier" selbst zu lesen und brauche es nicht vorgelesen zu bekommen! Ich melde mich dann bei Ihnen, falls das doch der Fall sein sollte.