„MACBETH“ - 4. April 2004

Selten machte mich eine Aufführung so sprachlos. Im positiven Sinne, versteht sich.

Die Lüneburger „Macbeth“-Produktion ist ein Beispiel dafür, daß die Größe des Hauses nicht entscheidend für sehr hohe Qualität sein muß. Sowohl in der musikalischen Ausführung als auch in der gelungenen Inszenierung kann sich das Theater hier mit diversen „großen Häusern“ messen.

Holger POTOZKI gelang eine ausgefeilte und spannende Arbeit. Die Personenregie, sämtliche Beziehungen der Figuren rund um den Mittelpunkt Macbeth wurden überlegt und akkurat wiedergegeben. Es machte Spaß, die unterschiedlichen Konstellationen (Macduff und die Kammerfrau waren hier ein gutes Beispiel.) zu entdecken.

Die Inszenierung sprühte vor Einfällen, die alle aufzuzählen, den hiesigen Rahmen sprengen würde. Interessant waren z.B. die Deutung der Hexen als Macbeths Unterbewußtsein (allerdings, wenn dies so ist, weshalb hört dann auch Banquo die Hexen?) und die Tatsache, daß Lady Macbeth von der Hofgesellschaft weit weniger respektiert wird als ihr Mann.

Das Bühnenbild (Tom PRESTING) erwies sich aufgrund der zur Verfügung stehenden Fläche als sehr praktikabel und wandlungsfähig. Ohne daß es karg wirkte, kam man mit den wenigen Requisiten aus. Die Kostüme (Sabine MEINHARDT) waren unspektakulär, aber dem Rahmen angepaßt.

Auch Puristen sollten auf ihre Kosten kommen, so sie den „modernen Rahmen“ akzeptieren. Das Lüneburger Publikum ist dazu durchaus bereit (siehe Pausengespräche und begeisterter Schlußapplaus).

Gesungen wurde in deutscher Sprache, was aufgrund der geglückten Übersetzung von Joachim Herz und Peter Wittig der Musikalität keinen Abbruch tat. Einzig Macduffs Ausbruch ob Duncans Tod wirkte dank der Formulierung „Entsetzen! Entsetzen! Entsetzen!” unfreiwillig komisch.

Bei den ersten Tönen, die Ulrich KRATZ als Macbeth zu singen hatte, dachte man zwar weniger an große Baritonpartien – Tannhäuser oder Siegfried kamen einem eher in den Sinn – doch der Abend zeigte, daß der Sänger trotz des Heldentenoralen, das ihm hörbar in der Kehle liegt, der Partie absolut gewachsen ist. Es war eine exzellente Interpretation, die in der Darstellung mit einigen neuen Aspekte gespickt war. Varianten, über die nachzudenken es sich lohnt.

Wo anfangen, wo aufhören, wenn man von Yvonn FÜSSEL-HARRIS als Lady Macbeth berichtet? Die Sängerin besitzt Temperament, Ausstrahlung und jede Menge Sexappeal. Mit einer sehr gut geführten Stimme setzte sie von Beginn an hohe Maßstäbe, fiel den gesamten Abend von diesem Niveau nicht ab, sondern steigerte sich in der Nachtwandelszene noch an Intensität und musikalischer Sicherheit.

Gemeinsam mit Ulrich Kratz konnte sie die besondere Beziehung zwischen Macbeth und seiner Lady dem Publikum mühelos begreifbar machen. Man sah auf der Bühne ein Verstehen ohne viele Worte, intensive Liebe und mörderische Machtgier, ohne daß es für eine Sekunde übertrieben wirkte.

Martin EDELBAUERs Banquo war ein wenig in Richtung latenter Brunnenvergifter angelegt. Etwas, das der Figur gut zu Gesicht stand, denn schließlich ist auch Banquo nicht ausschließlich positiv, sondern durchaus karrierebewußt. Edelbauer machte viel aus seinen Szenen. Leider stand seine darstellerische Begabung im krassen Gegensatz zur gesanglichen Leistung. Diese Stimme war von einem über alle Lagen reichenden Vibrato durchzogen, wodurch sämtliche Töne unschön klangen.

Die Besetzung von Karl SCHNEIDER als Macduff war unglücklich. Gerade in der Arie hörte man deutlich, daß die Partie - noch - jenseits seiner stimmlichen Möglichkeiten liegt. Zu hoch war der Kraftaufwand für die Stimme, die dadurch sehr angestrengt klang. Besser wurde da Friedrich VON MANSBERG mit Malcolm bedient. Er sang frisch drauf los, ohne jede Angst. Hervorzuheben ist Wlodzimierz WROBELs gesangliche Leistung als Arzt. Seine klangvolle Baßstimme ließ aufhorchen. Zdena FURMANCOKOVA ergänzte als Kammerfrau.

Ein musikalisches Ereignis an sich waren der HAUS- UND EXTRA-CHOR. Es zeigte sich, daß ein Chorensemble nicht nur trotz, sondern tatsächlich mit dem Extrachor klingen kann. Eine beeindruckende Leistung durch einen sehr einheitlichen und ausdrucksvollen Gesang.

Die LÜNEBURGER SINFONIKER, von diversen Gästen unterstützt, spielten sehr engagiert. Man hörte Verdis Musik bald schallplattenreif. Die souveräne Leitung des Abends lag in den Händen von Urs-Michael THEUS, der vielleicht noch ein wenig über Koordination und Tempi nachdenken könnte.

Weit ist es von Hamburg nach Lüneburg nicht.Dieser Opernabend hat mich davon überzeugt, daß man den Weg durchaus öfter machen sollte. AHS