"VIVA LA MAMMA" - 30. April 2006

Ich wette, das Theater Lüneburg übernimmt keine Haftung für die zahlreichen Zwerchfellrisse, die es in dieser Produktion im Publikum geben dürfte. Das Stück, erweitert um Mozarts "Ich bin die erste Sängerin" (worauf man auch hätte verzichten können), wird größtenteils auf deutsch gespielt, ohne daß es zu nennenswertem Verlust an Tempo oder Witz kommt. Dazu hat Regisseur Florian-Malte LEIBRECHT eine Dialogfassung geschaffen, die im Lüneburger Theater im Jahre 1930 spielt. Dies bietet die Möglichkeit, zuweilen auch lüneburgspezifische Anspielungen zu machen.

Im Bühnenbild von Barbara BLOCH, was im ersten Akt eine pseudorömische Kulisse zeigt, die im zweiten Akt einfach gedreht wird, so daß man sich auf der Hinterbühne befindet, geht es mit zahlreichen großen und kleinen Einfällen temporeich zur Sache, manchmal ist es fast schwierig, alles gleichzeitig im Blick zu behalten. Die Figuren sind durch die Bank alle wunderschön überzeichnet mit ihren Macken. Der Regisseur zeigt Mut zum Blödsinn, meint nicht, dem Stück mehr Tiefe geben zu müssen, als es hat, wird aber niemals platt. Die Kostüme von Sabine MEINHARDT unterstützen das Ganze gut (woher bekommt man nur solche Stiefeletten, wie Agata sie im ersten Akt trägt?).

Herzstück der Inszenierung ist jedoch die Mamma Agata von Ulrich KRATZ. Hier steht kein ausgesungenes "verdientes Ensemblemitglied" auf der Bühne, sondern ein Bariton im Zenit seiner Fähigkeiten. Da läuft das Parlando flüssig, die Spitzentöne werden ausgekostet, und man fragt sich permanent, was eigentlich an Agatas Vortrag so furchtbar sein soll. Er muß nicht übertreiben, um Komik zu erzeugen. Dazu kommt noch die Tatsache, daß der Sänger nicht wie ein als Frau verkleideter Mann wirkt, sondern tatsächlich sich sehr weiblich mit fließenden Bewegungen zu bewegen weiß. Man glaubt schon, daß Agata in jüngeren Jahren mit den Juwelen, die später die Oper retten, überschüttet wurde.

Zdena FURMANCOKOVA singt die Primadonna Sartinecchi sicher. Zwar sind gelegentlich einige etwas scharfe Töne in der Höhe zu vernehmen, aber im Ganzen macht sie ihre Sache gut, und in den Zickenkriegen mit Luigia und Agata sowie im Kampf mit dem Tenor zeigt sie mit Spielfreude ihre Krallen. Ein weiteres Highlight der Produktion ist ihr Ehemann Stefano, gesungen von Konstantin HEINTEL, der einen Divengatten wie aus dem Bilderbuch auf die Bühne stellt, leicht vertrottelt, aber irgendwie liebenswert. Die Stimme ist der Rolle jederzeit gewachsen, auch wenn sich die Figur noch so dumm anstellt.

Der Tenor Guglielmo Cantonelli wird von Karl SCHNEIDER als eine Mischung aus allen möglichen Tenorklischees dargestellt; man kann lustiges Tenöreraten spielen. Dazu singt er absolut stilsicher seine Partie, besonders erwähnenswert das italienisch gesungene Duett mit Agata, was einen dringend nach mehr italienischen Tenor/Bariton-Duetten der Herren Schneider und Kratz verlangen läßt. Daß Cantonelli gegen Ende des ersten Aktes in den Orchestergraben entsorgt wird, ist ausgesprochen schade.

Ferdinand STEINHÖFELs Komponist ist als exaltiertes Klischee eines Theaterschwulen gezeichnet, der hyperaktiv immer und überall auftaucht im Versuch, seine zum Scheitern verurteilte Oper zu retten. Dazu singt er auf hohem Niveau. Ein ruhiger Pol dagegen der Librettist von Wlodzimierz WROBEL, der weniger Möglichkeit zur Profilierung hat, diese aber nutzt.

Als Luigia macht Nicole DELLABONA eine gute Figur, sie singt die Partei ohne Probleme und hat ihren großen Auftritt, als sie als Götterbote versehentlich über der Bühne hängengelassen wird. Kirsten PATT hält das insgesamt hohe Niveau in der Rolle der Altistin Caccini, während Martin EDELBAUER als Impresario nicht so sehr outrierte, wie man das auch von ihm schon gesehen hat. Stimmlich zeigte er sich in etwas besserer Verfassung als zuletzt, reichte jedoch aufgrund von Intonationsproblemen nicht an den Rest der Besetzung heran.

Ein absolutes Sonderlob ist auch noch dem BALLETT zu zollen, welches gleich dazu Unsitten und Sitten des Tanzes schreiend komisch veralbert, ohne dabei zu verhehlen, daß es sich bei ihnen durchweg um exzellente Tänzer handelt. Ob man dies über die CHORHERREN sagen kann, muß bezweifelt werden. Diese liefern jedoch etliche Lacher beim Exzerzieren einer Chorregie, die alle Unarten einer solchen, gekonnt auf die Schippe nimmt.

Urs-Michael THEUS am Pult der LÜNEBURGER SINFONIKER, die in das Geschehen durchaus mit einbezogen werden, hält das alles zusammen, und setzt Akzente. Dabei wird das Brio nicht vernachlässigt. Trotz der deutschen Sprache habe ich schon größere Orchester weitaus "unitalienischer" musizieren hören. MK