"DER KLEINE HORRORLADEN" - 11. November 2007

Daß man im Norden keinen Karneval braucht, um sich am 11.11. zu amüsieren, bewies das Theater Lüneburg. Als Musical stand in diesem Jahr "Der kleine Horrorladen" von Alan Menken (Musik) und Howard Ashman (Text) auf dem Spielplan. Man braucht sich nicht allzu viele Gedanken über den Stoff zu machen und nicht so viel Adrenalin ausschütten, wie tags zuvor in "Les Misérables" in Lübeck, sondern man kann sich einfach zurücklehnen und sich von diesem vollkommen absurden Werk unterhalten lassen! Ohrwurmtechnisch ergeben sich in Verbindung der beiden Musicals allerdings recht skurril-ambivalente Stücke...

Helga WOLFs Inszenierung macht in erster Linie Spaß. Sie bringt einfach nur das Werk auf die Bühne und erzählt die Story, als wäre es eine Selbstverständlichkeit und das äußerst gekonnt. Bei all der Komik blieben jedoch auch die wenigen etwas sentimentaleren, bzw. emotionaleren Szenen nicht auf der Strecke, so z.B. wenn Audrey ihren (etwas biederen) Wünschen Ausdruck verleiht (Warum war ich der einzige, der bei dem Gartenzwerg gelacht hat???) oder in den Szenen zwischen Audrey und Seymour. Auch wenn Seymour sicher nicht der Attraktivste und Audrey nicht die Hellste zu sein scheinen, stellt Wolf sie nicht bloß, sondern stellt sie eher liebenswert mit einer gehörigen Portion Ironie dar.

Natürlich sind alle Charaktere mehr oder weniger überzeichnet und keiner macht eine Entwicklung durch (außer einer letalen), aber Wolf läßt es nur soweit ins Lächerliche abdriften, wie es nicht peinlich-gewollt wirkt und letzten Endes ist das Stück nun mal auch so angelegt, daß man niemanden allzu ernst nehmen sollte. Aber immerhin gab es drei wichtige Botschaften: "Gehen Sie immer zum Zahnarzt!", "Halten Sie sich von Drogen fern!" und v.a. "Gehen Sie bloß nicht zu einem drogenabhängigen Zahnarzt!!!"

Das Bühnenbild von Barbara BLOCH ist praktikabel (die rosa Gießkanne hat eine nachhaltige Wirkung hinterlassen...) und alles in allem sehr gelungen - Audrey II wirkt frontal fies, von der Seite süß. Die Kostüme (Sabine MEINHARDT) boten ein Sammelsurium an allem, was die Modewelt in den letzten 20-30 Jahren so an Trends verbrochen hat, von Punks bis zu krassem "Gangsta-Look". Bei dem Biker-Outfit von Orin hat es mich fast vom Stuhl gehauen...

Kristian LUCAS tat das Seinige, um den Seymour nicht nur trottelig und ungeschickt herüberkommen zu lassen. Er macht ihn einfach zu einem Sympathieträger, dem man gerne ein wenig Mitleid schenkt. Sein Spiel und sein Gesang waren in jeder Phase überzeugend und auf sehr hohem Niveau.

Sigrid BRANDSTETTER gab die Audrey als Klischee-Blondine vom Dienst. Mit ihrer blonden Dauerwelle, ihren stillosen Minikleidern (an Seymours Stelle würde ich mich NICHT von ihr in Modefragen beraten lassen...) und dem Lispeln schwankte sie irgendwo zwischen grenzdebiler Klischee-Friseuse und schicksalsgebeuteltem Mädchen, dem man die brutale Beziehung abkauft. Die gewissen Szenen mit Seymour wirkten in ihrer naiven Kindlichkeit irgendwie süß.

Als regelrechter Szenendieb erwies sich Olaf PASCHNER als narzißtischer, eitler, ekelerregend-abstoßender Orin, bei dessen Auftritt ich fast am Boden lag! Wie er in seiner Biker-Kluft (nur echt mit den 52 Fransen), mit schmalzigem Blick, zurückgegelten Haaren und Elvis-Hüftschwung über die Bühne stolzierte, war zum Schreien komisch. Nicht zu vergessen seine hysterischen Lachausbrüche, wenn er mal wieder eine Prise Lachgas geschnüffelt hat. In den kleineren Rollen des zweiten Aktes konnte er ebenso voll und ganz überzeugen.

R.A. GÜTHER war eine passende Besetzung für den eigentlich auch total unsympathischen Mushnik, der seinem Ziehsohn erst dann ein Vater sein kann, wenn er auch genug Geld bringt. Markus BILLEN fiel als Kunde nicht weiter auf. Bei den drei "soul-girls" stach lediglich Victoria FLEER (Crystal) gesanglich mit etwas scharfem und teils dünnem Ton ein wenig negativ heraus. Nina BAUKUS und Jessica FENDLER als Chiffon und Ronette sangen besser. Zusammen waren sie aber insgesamt sehr präsent.

Die "mean green mother from outer space", bzw. Audrey II wurde "gespielt" von Thomas PFEFFER und gesungen von Melvin EDMONDSON. Seine Stimme ist vielleicht gewöhnungsbedürftig (ich komme mit ihr nicht so zurecht), trotzdem oder gerade deshalb war er skurril und quengelig-fordernd genug und rockte am Schluß nochmal gehörig das Haus! Es hätte nur noch gefehlt, daß er sich ein Gewand überwirft und "Praise the Lord" schreit...

Am Pult der "SKID ROW BAND" verbreitete Alexander EISSELE Stimmung und tat sein Übriges für einen sehr unterhaltsamen und vergnüglichen Abend, der musikalisch irgendwo zwischen Revue, Schauspiel und Musical lag mit leichten Anklängen an "Cats" ("Memories") und die Titelmelodie zu "Flipper". Der CHOR und EXTRA-CHOR des Hauses standen dem in Nichts nach. Alles in allem war es mir ein kleines bißchen zu laut. WFS

P.S.: Auch wenn das Theater bedauerlicherweise nicht wirklich ausverkauft war, stellte ich mir erneut die Frage, warum sich nicht ENDLICH mal ein großes Haus an ein Musical heran traut! Alle reden immer davon, daß man ja auch mal moderne Werke bringen muß, aber muß es dann Henze oder Stockhausen sein? Ich bin mir sicher, daß es auch dort gute Auslastung gäbe. Vielleicht müßte man beim Stamm-Publikum viel Überzeugungsarbeit leisten, aber gerade bei den Jüngeren könnte man bestimmt viele Leute ins Haus locken. Ich denke, daß gerade erwähnte "Les Misérables" fürs erste ein guter Kompromiß sein könnte. Frau Young, übernehmen Sie!;-)

P.P.S.: Es wäre nicht schlecht, wenn die Web-Designer der Homepage des Theaters auch die zweite Hälfte des Klappentextes von "Web-Design mit Web 2.0 für Anfänger" lesen würden...