"CARMEN" - 11. Oktober 2008

Es gibt 15 bis 20 Opern, die im Repertoire keines Hauses fehlen dürfen, und wenn es kein Repertoire-Haus ist, dann müssen sie alle 10 bis 15 Jahre gespielt werden. Das muß man schon machen, um das Haus mit den Leuten vollzubekommen, die den Namen des Stückes kennen und somit nicht erwarten, in ein dodekaphonisches Desaster hinein zu geraten. Eine solche Oper ist nun mal "Carmen". Es stellt sich nun aber die Frage, ob ein kleines Theater wie das in Lüneburg es sich leisten kann, diesen Reißer vor relativ wenigen Zuschauern aufzuführen. In der von mir besuchten Aufführung (es war eine der ersten nach der Premiere) waren nur gut zwei Drittel der Plätze belegt - wohlgemerkt an einem normalen Samstag ohne Stadtfest, Länderspiel oder 30 Grad im Schatten.

Letztere Hitze wollte sich aber bei der Regie von Jörg FALLHEIER auch nicht wirklich einstellen. Er läßt das Geschehen auf einer Art Güterumschlagsplatz mit einer Menge von Containern (Bühne: Barbara BLOCH) spielen. Die Zigeunerinnen arbeiten in selbigen, bzw. halten sich dort auf. Nur was sie dort genau tun, ist mir nicht erklärlich. Jedenfalls wird aus besagten Containern von der Schmugglerbande allerhand Kram entwendet. Auf besagtem Platz tummeln sich Unmengen an Security-Kräften. Ich weiß nicht, ob Fallheier ein Konzept hatte. Wenn ja, wäre es nett gewesen, wenn er dieses auch auf die Bühne gebracht hätte. Das einzige, was man als so etwas auslegen könnte ist, daß Carmen am Ende selbst ins Messer läuft, um José der Macht, ihr eigenes Leben zu beenden, zu berauben. Die letzte Szene jedoch verlor an ihrer ganzen Intimität, da das "Volk" im Hintergrund den Stierkampf in einer Endlosschleife auf einer Leinwand sah (das Publikum konnte davon jedoch nur ein Drittel sehen).

Jedenfalls ist klar, daß das Land, in dem diese Produktion spielt, definitiv Deutschland oder das deutschsprachige Ausland sein muß, denn jeder Einwohner eines anderen Landes (insbes. einem der südlichen Gefilde) würde sich wohl eher beide Hände abhacken lassen, als in zwei aufeinander folgenden Takten NUR auf der "1" mitzuklatschen... So geschehen in der ersten Szene bei Lilas Pastia. Ich hatte wirklich Angst, daß Karl Moik oder Florian Silbereisen noch auftreten, um das Publikum zum Mitschunkeln zu animieren. Obwohl es ja zu Halloween irgendwie passen würde...

Die Alltagstauglichkeit der Kostüme von Sabine MEINHARDT schwankt zwischen den Sechzigern und heute. Escamillo sah in seinem ersten Kostüm jedoch aus wie eine Mischung aus Zorro und Graf Dracula.

Gespielt wurde die Dialog-Fassung in deutscher Sprache. Das Programmheft verschweigt, wer für diese verantwortlich zeichnet oder versteckt es vor meinen Augen äußerst geschickt. Sie war nah am Text und störte insgesamt nicht allzu sehr, und mehr kann man von einer Übersetzung nicht erwarten... Immerhin kam sie ohne das mich traumatisiert habende "Ich stehe hier von Blut gerötet! Carmen - Ich habe sie getötet!!!" aus!

Barbara SCHMIDT-GADEN ist sicher keine schlechte Sängerin, aber ihr fehlt doch einfach das Feuer, sowohl in der Stimme, als auch in der Darstellung, so daß ich mich eigentlich mehr gelangweilt habe. Zwar kann sie sich gut bewegen, und auch stimmlich ist sie der Partie gewachsen, aber gerade für diese Rolle bedarf es nun mal einer sehr charakteristischen Ausdrucksweise, für die man einfach geboren sein muß. Insofern war sie eine ziemliche Fehlbesetzung.

Karl SCHNEIDER sang einen sehr emphatischen und hingebungsvollen José (mit dem anerkennenswerten Bemühen um ein Piano auf dem hohen b in der Blumenarie), der mit einer besseren Partnerin sicher noch mehr hätte herausholen können. Seine stärkste Leistung hatte er entsprechend im Duett mit dem Escamillo von Ulrich KRATZ. Beide lieferten sich ein Duell par excellence. Letzterer konnte allerdings nicht verhehlen, daß auch ihm die Rolle des Stierkämpfers nicht in die Kehle geschrieben wurde. Die Tiefe in seiner Arie kam nur sehr rudimentär. Dennoch brachte er auch in dieses Stück mittels intelligenter Differenzierung eine sehr eigene und hoch interessante Note mit ein.

Die Micaela von Zdena FURMANCOKOVA zeichnete sich im Duett mit José v.a. dadurch aus, daß sie alle vier Sekunden ins Publikum schaute. Ansonsten lieferte sie eine solide Leistung ab, die nicht ganz so trutschig wirkte, wie es ihre ernsten Rollen sonst so an sich haben.

Die Frasquita von Jisyong KWON konnte sich durchaus hören lassen, wohingegen Katharina von BÜLOWs Mercedes nicht weiter auffiel, was für die Zweitbesetzung der Carmen vielleicht keine allzu gute Voraussetzung ist... Ferdinand STEINHÖFEL und der angesagte Uwe SALZMANN als Remendado und Dancairo (lt. Programmheft "Doncairo") profilierten sich als spiel- und sangesfreudige Knallchargen. Wlodzimierz WROBEL machte als Morales eine ausgezeichnete Figur. Kyung Sik WOO brauchte eigentlich keine 3 Schüsse abzugeben, um nachhaltig auf sich aufmerksam zu machen.

Das Haus-BALLETT (die solide Choreographie stammte von Ingrid BURMEISTER) tanzte sicher und souverän auf dem teils sehr beengtem Terrain.

Der normalerweise von mir sehr geschätzte Urs-Michael THEUS schaffte es nach der schon mißratenen "Cenerentola" in der vergangenen Saison erneut nicht, südländisches Flair bei den LÜNEBURGER SINFONIKERN aufkommen zu lassen. Es klang alles viel zu "deutsch". Hier wurde nichts ausmusiziert und insgesamt viel zu schnell gespielt. Der HAUS-, KINDER- und EXTRA-CHOR (Deborah COOMBE) meisterte seinen Part sehr gut. WFS