"JEKYLL & HYDE" - 6. Dezember 2008

Offenbar gibt es am Theater Lüneburg ca. alle zwei Jahre die ganz großen Würfe. Konnte vor vier Jahren der "Macbeth" zu Begeisterungsstürmen hinreißen, waren es vor zwei Jahren die "Misérables" und heuer (zumindest szenisch) das Musical "Jekyll & Hyde" von Frank Wildhorn (Text: Leslie Bricusse, deutsche Übersetzung: Susanne Dengler und Eberhard Storz). Da ich mich zuvor weder mit dem Werk an sich, noch mit dem Inhalt sonderlich auseinandergesetzt hatte, erwartete ich so etwas wie ein Horror-/Grusel-Musical und wurde Zeuge einer Art Psychodrama.

Philipp KOCHHEIM verlegt die Handlung in die moderne Welt. Es gibt Flatscreen-Bildschirme und ein hippes Aquarium, das Teil einer Treppe ist, seine Eintragungen macht Jekyll mit einer Digital-Kamera. Ein sehr mutiger Ansatz, da Musicals i.d.R. eher klassisch inszeniert werden. Gute Auslastung und ein durchweg positives Echo sprechen jedoch durchaus für ein geglücktes Risiko - Glück gehabt...

Kochheim geht nicht den konventionellen Weg, die Figuren des Jekyll und Hyde in zwei verschiedene Persönlichkeiten aufzusplitten, sondern sieht Hyde als immanenten Teil des Dr. Jekyll. Dafür spricht, daß Hyde ja ausschließlich alle die Personen tötet, die Jekyll im Weg stehen und nicht etwa irgendwelche Unbeteiligten. Die Personen sind einfach nicht zu trennen. Daß es keine Hochzeit gibt, auf der er sich umbringt, sondern er sich in der finalen Konfrontation seiner beiden Persönlichkeiten selbst den Kopf wegschießt, ist schlicht und ergreifend konsequent. Er muß sich umbringen und zwar alleine, bevor er seine Verlobte Lisa noch in Schlimmeres reinzieht, und er muß es natürlich mittels eines Kopfschusses machen, um den "Dämon" zu töten, der ja in seinem Kopf sein Unwesen treibt.

Mit diesen Mitteln schafft Kochheim es, auch die Zuschauer mit in die Handlung zu integrieren, was er vielleicht gerade zu Beginn des 2. Aktes etwas ungeschlacht, aber durchaus praktikabel macht. Steckt vielleicht. doch in jedem ein Hyde? Dieses läßt er auch fragen, wenn er das Stück mit der Reprise von "Fassade" enden läßt.

Dem Regisseur gelingt es insgesamt glänzend, einen großen Spannungsbogen zu erzeugen, der einen atemlos an den Sessel bannt. Die feinen Stöffchen für die Kostüme verantwortete Barbara BLOCH, das Bühnenbild Sabine MEINHARDT.

Die Aufführung litt leider unter der Besetzung der Titelrolle (Kaspar HOLMBOE), der zwar passable Momente hatte, aber in den lauten Passagen einfach nur schrie. Gerade in seiner Darstellung des Jekyll hätte er für meinen Begriff mehr den schon psychisch labilen Doktor heraus kehren sollen und vor allem seine Ansprache vor der Kommission hätte ich mir auch weitaus leidenschaftlicher und emphatischer gewünscht, was auch der sehr langen und anspruchsvollen Partie als solches nicht geschadet hätte... Darstellerisch war er recht solide.

Seine Lisa lag bei Sigrid BRANDSTETTER in guten Händen. Sie gab eine insgesamt sehr selbstbewußte Verlobte und konnte sowohl stimmlich, als auch schauspielerisch voll und ganz überzeugen. Caroline KIESEWETTER sang eine verruchte Lucy. Schon in ihrem Auftritts-Song "Bring on the men" war sie mehr als nur eine "leichte Dame", die singt, sondern vielmehr eine Frau, die ihr bisheriges Leben einfach leid ist und ein neues anfangen will.

Harro KORN war mir als Sir Danvers viel zu unsympathisch, zudem ließen seine gesanglichen Qualitäten zu wünschen übrig. Friedrich von MANSBERG war ein durch und durch solide singender und agierender Utterson, dem ein paar Ecken und Kanten gut zu Gesicht ständen. Kristian LUCAS als Simon Stride ist ein v.a. darstellerisch glänzender Widerpart von Jekyll, sängerisch darf er gerne noch ein kleines bißchen mehr Kontra geben. Marc WESTPHAL spielte Jekylls treuen Mitarbeiter Poole sehr überzeugend.

Agnes MÜLLER gab eine herrlich blasierte Lady Beaconsfield, deren Tod zeigte, daß Kochheim offenbar einen Faible für schwarzen Humor hat... Uwe SALZMANN lieferte mal wieder eine tolle Leistung als Bischof.

Oliver HENNES als General Lord Glossop, Wolfgang MARCHETTO (Sir Archibald Proops) und Hans-Wiitich KARSTEN (Lord Savage) ergänzten das Ensemble solide. Ferdinand STEINHÖFEL war ein stark spielender Zuhälter Spider, während Sascha LITTIGs (Priester) Stimme zu dünn ist.

Am Pult der LÜNEBURGER SINFONIKER, die mit den entsprechenden Instrumenten verstärkt wurden, machte Urs-Michael THEUS eine gute Figur. Er arbeitete einige irre orchestrale Effekte heraus. An manchen Stellen wäre es jedoch wünschenswert, die Lautstärke in bißchen zurückzunehmen, außerdem war mir das Schlagzeug stellenweise zu dominant. Der HAUS- und EXTRACHOR lieferte eine großartige Demonstration seines Könnens. WFS