"THE RAPE OF LURETIA" - 22. Juli 2004

Nach dem großen Brocken der „Meistersinger“ als heuer erste Premiere der Münchner Opernfestspiele wandte man sich in der zweiten, der kleineren Form der Kammeroper zu, und ging konsequenterweise ins Prinzregententheater.

Benjamin Brittens „Rape of Lucretia“ von 1946 erzählt eine sehr alte Geschichte, die, wie allen guten Geschichten, absolut zeitlos ist. In diesem Fall leider, da sie von Tyrannei, Krieg, Gewalt, Machtstreben und Morallosigkeit erzählt. Der Stoff selbst ist oft behandelt worden, in Gedichten, Dramen und Bildern, nicht zuletzt von Shakespeare. Während des Krieges sind die Frauen Roms allein in der Stadt und nutzen die Abwesenheit ihrer Männer durch unmoralischen Lebenswandel. Nur Lucretia nicht, die ihren geliebten Mann Collatinus nicht betrügt. Das stachelt den Ergeiz der Männer doch nur besonders an, und eines Nachts kehrt Prinz Tarquinius heimlich in die Stadt zurück um, nach einem fehlgeschlagenen Versuch der Verführung, Lucretia zu vergewaltigen. Die kann mit dieser Tat nicht umgehen und ersticht sich.

Britten hält sich bei seiner Oper nicht an den großen Landsmann, sondern an ein Stück von André Obey. Trotzdem erwies sich die arrivierte Shakespeare-Regisseurin Deborah WARNER als gute Wahl für das Stück. Ihre Regie ist bekannt dafür, mit wenig Staffage sich ganz auf die Figuren zu konzentrieren. So ist denn auch die Bühne von Tom PYE zunächst ein leerer schwarzer Raum, nur einige römische Hütten sind im Hintergrund zu sehen. Und auch später bleibt die Bühne meist leer, nur das Nötigste, wie ein Spinnrad oder viele Blumen in der Schlußszene bilden den Rahmen. Aber eben dadurch kommen die Figuren in heutiger Kleidung, die Männer biertrinkend in Kaki, besonders zum Ausdruck. Und natürlich durch Brittens Musik. Denn auch in dieser viel zu selten gespielten Oper beherrscht er es meisterhaft, die Stimmen zu unterstützen und Situationen emotional zu beleuchten.

Die Sänger in dieser Produktion sind durchweg wunderbar besetzt. Seien es Ian BOSTRIDGE und Susan BULLOCK als Chorus in schlichten schwarzen Hosen und weißem Hemd, sei es die innige Deborah YORK in der Titelrolle, Alan HELD als ihr Mann oder Christopher MALTMAN als muskulöser Prinz. All das nimmt gefangen, nichts lenkt ab, und die auch filmischen Mittel sind nicht schmückendes Beiwerk, sondern integrierter Bestandteil der Geschichte. So z. B. der Ritt des Tarquinius nach Rom. Die Szene wird von Male Chorus vor einem dünnen schwarzen Vorhang erzählt, auf den in schwarz-weiß in einem kleinen Kasten ein Reiter im gestreckten Galopp zu sehen ist, davor der Rücken einer nackten Frau. Bei Tarquinius’ Durchquerung des Tiber wird daraus strudelndes Wasser, wild wie der Prinz selbst.

Einen Teil des Erfolges können bei alldem auch Ivor BOLTON und das BAYERISCHE STAATSORCHESTER verbuchen, die immer gefühlvolle Begleiter des Geschehens sind.

Es geht also doch, diese Mischung aus zeitloser Gültigkeit in der Regie, guten Sängern und musikalischer Qualität, so ganz ohne Skandal, eher still und doch ein Abend, der in Erinnerung bleibt. KS