"HÉRODIADE" - 9. Oktober 2005

Daß Salomé ein leidenschaftlich hassender, sich auf Kosten anderer durchsetzender Mensch war, ist spätestens seit Richard Strauss' gleichnamiger Oper allseits anerkannt. Aber es gibt auch ein anderes Bild dieser jungen Frau. Das einer großen Liebenden, die für diese Liebe alles tut, deren Gefühle sogar einen Propheten betören, und die sich lieber selbst tötet, als ohne den Geliebten weiter zu leben. So zeichnete Gustave Flaubert die Salomé, und so schuf Jules Massenet seine Oper.

Aber auch bei Massenet darf der große Haß nicht fehlen, der Motor für so viele Dramen ist. Nur ist es bei ihm die Mutter Hérodiade, die eifersüchtig auf die Begierde ist, mit der ihr Mann Hérode Salomé verfolgt. Und so wird sie, die lange nicht weiß, daß Salomé ihre Tochter ist, zur Titelheldin der Oper.

Eine Paraderolle für eine starke Stimme und eine starke Darstellerin. Im ersten Sonntagskonzert des MÜNCHNER RUNDFUNKORCHESTERs fand sich diese in der Ausprägung von Agnes BALTSA. Kalt und hochmütig, mit schneidender Stimme, gestaltete sie die Königin, deren Leben sich durch das Auftauchen einer vermeintlichen Nebenbuhlerin völlig verändert. Und wie man sich schon bei Frau Baltsa eine szenische Aufführung wünschte, in der sie diese Gefühlswelten noch intensiver zum Ausdruck bringen könnte, so auch bei den anderen hervorragend besetzten Rollen.

Allen voran bei Barbara HAVEMAN als Salomé, die in ihrer Kindlichkeit und Inbrunst nicht nur ihren Jean überzeugte, der als Prophet selbstbewußt und seiner Sache sicher von Nikolai SCHUKOFF gegeben wurde. Oder auch Vladimir CHERNOV, dessen Hérode hin und her gerissen ist zwischen Krieg und alles besitzen wollender und einfordernder Leidenschaft. Besonders stark auch Nicolas TESTÉ als Sterndeuter Phanuel, der nicht zuletzt mit seiner klaren tiefen Stimme und wunderbarer Diktion der ruhende Pol der Oper ist.

Marcello Viotti, der diese Massenet-Reihe, die letzte Saison mit der "Manon" begann, noch konzipierte, hätte sich über den Erfolg an diesem Abend sicher sehr gefreut. Statt seiner war nun Jun MÄRKL am Pult und fühlte mit dem Rundfunkorchester allen Emotionen nach, von Massenszenen, über Tempeltänze, von Eifersucht bis zu leise innig deklamierter Liebe. KS