"PIERO - ENDE DER NACHT" - 30. April 2008

Die letzte Premiere der diesjährigen Musiktheaterbiennale trägt den Untertitel "Hörstück für ein Theater der wandernden Gedanken und Klänge", und so wundert es nicht, daß der Komponist Jens Joneleit (Jg 1968) und sein Librettist Michael Herrschel für die Entstehung des Werkes noch einen dritten Mann ins Boot geholt hatten. Gunnar Hartmanns Aufgabe als Architekt und Raumdesigner bestand darin, für das Wandern der Klänge in der Muffathalle zu sorgen. Jeder Zuschauer bzw. Zuhörer sollte sein ganz persönliches Klangerlebnis haben.

Durch zwei gegenüber liegende Tribünen für die Zuschauer, von einem Laufsteg getrennt, unter denen die Musiker in vier Gruppen aufgeteilt sitzen und an deren oberen Rändern direkt über den Zuschauern die Choristen einen Teil der Zeit stehen, wird der Klang verteilt. Weitere Bewegung entsteht durch die Bewegung der Sänger, die mal oberhalb, mal zwischen den Zuhörern oder auf dem langen Steg aktiv sind.

Der Ausgangspunkt für das Hörstück ist das letzte Kapitel von Alfred Anderschs Roman "Die Rote". Ein alter Fischer in Venedig, der Piero, gespalten in einen Sänger und einen Schauspieler, reflektiert über das Sein und den Tod in Gedanken und Erinnerungen. Dabei ist die Assoziation mit Luigi Nono und dessen Musiktheater durchaus gewollt, so ist eines der Zwischenspiele ihm gewidmet.

Eine große Ruhe geht, trotz der manchmal grell in den Posaunen ausbrechenden Musik, von der sehr knappen Handlung aus, wenn der Piero auf Wesen trifft, die in ihren beigen Kostümen aus mehreren Jahrhunderten und mit weiß geschminkten Brauen aus seinen Träumen oder aus einer anderen Welt stammen können. Alles scheint zu fließen, obwohl kein Wasser da ist. Der Steg hebt und senkt sich langsam, ein weißes Tuch senkt sich in die Mitte der Bühne und wird mal Projektionsfläche, mal Segel, mal Leichentuch.

Die Regisseurin Katharina THOMA findet wundervolle Bilder, in denen die Figuren agieren. So schreibt die mysteriöse Frau (Niina KEITEL) mit rotem Haar, die aus dem Chor heraussticht, Buchstaben in hellem Licht auf das Tuch, um sie später wieder zurück zu nehmen. Da begegnen die beiden Pieros (Johannes M. KÖSTERS und Michael AUTHENRIETH) dem jeweils anderen als Schatten auf dem über den Steg hängenden Tuch, wobei die Zuschauer die Szene entweder von der einen oder der anderen Perspektive beobachten. So wird auch in den Bildern die Individualisierung der Wahrnehmung fortgeführt.

Yuval ZORN am Pult hat bei diesem Konzept großes zu leisten, die zwölf solistisch geführten Choristen, die beiden Pieros, die Frau und das hervorragende ENSEMBLE MODERN durch die komplexe Partitur zu führen. Leider konnte man den lyrisch verdichteten Text kaum verstehen und nicht mitlesen, dafür hätten die Sinne nicht ausgereicht, selbst wenn es Übertitel gegeben hätte. Ein beeindruckend gelungener Abschluss von zweieinhalb intensiven Wochen mit neuester Musik. KS