"DOKTOR FAUST" - 7. Juli 2008

Die erste Premiere der diesjährigen Opernfestspiele war eine Münchner Erstaufführung, obwohl die Oper bereits über achtzig Jahre alt ist. Solange mußte man hier auf den "Doktor Faust" von Ferruccio Busoni warten. Und es war höchste Zeit, daß dieses starke Stück Musik seinen Weg nach München gefunden hat.

Busoni hat seinen Faust nicht beendet, bei der Uraufführung 1925 in Dresden hatte ein anderer das Werk vollendet: Philipp Jarnach. Dessen Schluß erwies sich als so stark, daß erst 2004 die unvollendete Fassung als solche gegeben wurde. Und auch Regisseur Nicolas BRIEGER entschied sich für München für die unvollendete Fassung.

Der Beginn der Inszenierung zitiert den 1. Weltkrieg mit Uniformmantel, Wehrmachtshelm und zerborstener Orgelpfeife, und damit ein Ereignis, daß Busoni nicht unbeeinflußt gelassen haben dürfte in den Jahren der Komposition. Nicht nur Fausts Welt ist am Ende, nein, die ganze Welt ist es in einer Weise, die vorher nie da gewesen war. Faust als Maler lebt in einer Stadt irgendwo zwischen russischem Futurismus und Fritz Lang, kalt und abweisend (Bühne: Hermann FEUCHTER) und ist nur zu dankbar, das Zauberbuch zu bekommen. Die Geister, die er ruft, und die als bronzefarbene nackte Figuren schwebend wie gefallene Engel in der Luft hängen, befriedigen ihn aber nicht, nur Mephisto, der sich, wie bei einer Geburt unter Faust hervorquält, hält seinen Forderungen stand. Brieger zeigt Mephisto zunächst als Zwitterwesen mit langer Lockenpracht und Büstenhalter auf behaarter Brust. Aber im Augenblick des Paktes wird er zum Doppelgänger Fausts, zum Schatten, der auch im Dunkeln nicht verschwindet. Und um das Doppelgängermotiv noch weiter auszureizen, erscheint Faust mal als lebensgroße Puppe (beeindruckend gestaltet), oder in kleiner Form gleich im Dreierpack. Er kann sich selbst nicht entgehen.

Daran scheitert auch seine Beziehung zur Herzogin von Parma, einer Frau, die er fluchtartig verläßt, nachdem er sie in ihrer Hochzeitsnacht verführt und geraubt hat. Auch die Erscheinung Helenas, neben dem Schluß die von Busoni nicht vollendete Szene, kann Faust nicht vom Bewußtsein des Untergangs befreien. Nachdem er noch mal den Chimären der Toten begegnet, bricht er tot vor der metallenen Skyline der Stadt zusammen. Passanten gehen achtlos an ihm vorbei.

Eindringliche Bilder, die Brieger hier findet, so auch zum Beispiel, wenn der Bruder eines von Faust verführten Mädchens auf Mephistos Geheiß in der Kirche mit Orgelpfeifen gepfählt wird. Faust übergießt die Leiche mit Blut. Der Schritt auf die Seite der Schuld ist endgültig vollzogen.

Die Sänger sind starke Begleiter dieses Konzepts. So Wolfgang KOCH in der Titelrolle der sich, mal aktiver Held, mal Spielball der Teufel immer mehr steigert. Oder John DASZAKs Mephisto, stimmlich mit angestrengter Höhe, aber ansonsten auch gerade spielerisch ein Hochgenuß. Als einzige Frau bietet Catherine NAGLESTAD in der Rolle der Herzogin Gesang vom Feinsten, und aus der Riege der vielen kleinen Partien seien Steven HUMES als spießiger Famulus Wagner und mal wieder Alfred KUHN als Zeremonienmeister herausgehoben. Alle singen äußerst textverständlich, keine Selbstverständlichkeit, bei den extremen Partien.

Das Libretto von Komponisten selbst ist knapp und auf den Punkt, mal frei, mal gereimt und die Musik, aus der Spätromantik kommend, jedoch über weite Strecken viel strenger und dunkler, fügen sich aufs eindrucksvollste zusammen. Tomáš NETOPIL hält am Pult die Zügel straff, manchmal fast zu straff, ist aber mit dem BAYERISCHEN STAATSORCHESTER umsichtiger Begleiter und eindrücklicher Gestalter.

GMD Kent NAGANO schätzt dieses Werk, das er selbst bereits auf CD eingespielt hat, sehr, nun weiß man auch in München warum. KS