"OTELLO" - 14. März 2009

Eigentlich müßte ich zwei Kritiken schreiben. Einmal für die Akte 1 bis 3 und eine weitere für den vierten Akt. Grund hierfür ist die völlig unterschiedliche Leistung von Tenor und Sopran im letzten Akt und beim Rest des Abends. Drei Akte lang wurde ich weder mit Johan BOTHAs Otello noch mit Adrianne PIECZONKAs Desdemona richtig warm.

Botha hatte zwar beeindruckende Höhen zu bieten, nur sobald von ihm leisere Töne verlangt wurden, verlor die Stimme an Qualität, klang eigenartig flach und war auch nicht in der Lage Emotionen zu wecken. Dazu kam, daß bei ihm der ständige Wechsel von Otellos Seelenzuständen einfach nicht in der Stimme stattfand. Pieczonka wirkte merkwürdig unbeteiligt, sowohl im Liebesduett, als auch in den folgenden beiden Akten. Zudem war die eine oder andere Schärfe zu hören, die Stimme blühte nicht richtig auf, sondern schien nur zu gebremsten Gefühlen fähig zu sein. Desdemona blieb ein fades Hascherl.

Was genau in der kurzen Lichtpause zwischen dritten und vierten Akt passiert sein mag, kann ich nicht sagen, doch mit Beginn des Finales waren beide Sänger verwandelt. Pieczonka sang ein höchst emotionales, berührendes, in jeder Phase aufblühendes "Lied von der Weide" und "Ave Maria", Botha gelang es, zwischen Mordlust noch Züge von Zärtlichkeit in seine Stimme zu bringen und mit dem Selbstmord Otellos sogar zu berühren. Ich wäre glücklich gewesen, hätte diese Wandlung schon ein wenig früher stattgefunden…

Lucio GALLO war als Jago hingegen von Beginn an "da". Immer in Bewegung (trotz leichter Bewegungseinschränkung), immer auf der Hut. Dieser Jago zeigt seine ganze abgründige Seele nur, wenn niemand zusieht. In Gesellschaft hingegen schmeichelt er mit unwiderstehlichen piani Gift in die Ohren der anderen. Er hat es nicht möglich Gefährlichkeit mit Brüllen auszudrücken, die exzellente Phrasierung ist viel wirkungsvoller. Sein plötzlicher Wandel vom jovialen Kumpel zum Erzbösewicht des "Credo" erinnerte mich spontan an Professor Yana nach dem Öffnen der fob watch (wer "Doctor Who" sieht, wird wissen, was ich meine).

Die wahrscheinlich schönste Stimme des Abends hatte Cassio Wookyung KIM aufzubieten, der damit seinem Vorgesetzten die Show stahl. Auf einmal war Cassio die vierte Hautrolle des Stückes, weil der junge Tenor mit seinem wertvollen Timbre und lebendigem Spiel ohne aufdringlich zu wirken, sehr nachhaltig das Münchner Publikum auf sich aufmerksam machte.

Enkelejda SHKOSA war eine mehr als luxuriöse Emilia mit schönen Mezzo. Francesco PETROZZI als Rodrigo blieb stimmlich und darstellerisch so blaß wie sein weißes Kostüm; es verwunderte nicht, daß Desdemona kein Interesse an ihm hat, denn dafür hätte sie ihn wahrnehmen müssen. Lodovico Christian VAN HORN war wenig respekteinflößend, zumal die Stimme auch kaum Durchschlagskraft hatte. Christoph STEPHINGER als Montano machte einen soliden Job, während der Herold von Igor BAKAN aufhorchen ließ.

Am Pult des BAYERISCHEN STAATSORCHESTERS stand Bertrand de BILLY und hielt den Abend zusammen, insbesondere als der CHOR im ersten Akt einmal heftig ins Schleudern geriet. Es fehlten gerade in den ersten drei Akten ein wenig die großen Akzente, die vielleicht die Beziehung von Otello und Desdemona wenigstens im Orchestergraben hätten stattfinden lassen; im vierten Akt war dann jedoch eine höchst subtile, sehr beeindruckende Leistung zu hören.

Ach, ja, eine Inszenierung gab es ja laut Programmheft auch noch. In der Bühne und den Kostümen von Alison CHITTY hätte man auch "Turandot", "Elektra" oder "Idomeneo" spielen können. Das war völlig austauschbar mit den mehretagigen Gestellen. Irgendeine Personenregie konnte man auch nicht mehr erkennen, die von Francesca ZAMBELLOs ursprünglicher Inszenierung übrig geblieben sein mochte, es bewegte sich alles im konventionell-langweiligen Rahmen, abgesehen von der leicht peinlichen Choreographie (Alphonse PULIN) und dem albernen Arrangement des Kinderchores. Das führte dazu, daß zumindest Otello und Desdemona leicht allein gelassen wirkten; vor allem Otellos in Streßsituationen ständiges Greifen an den Kopf wirkte eher hilflos als daß man einem streßbedingten Migräneanfall hätte glauben können. MK