"DAS TAGEBUCH DER ANNE FRANK" - 29. Oktober 2009

Nachdem das Tagebuch der Anne Frank 1960 auch in Rußland erschien, war der Komponist Grigori Frid sofort fasziniert von den Texten der in Amsterdam versteckten vierzehnjährigen Jüdin, die den Holocaust um nur wenige Wochen nicht überlebte. Aber dann kamen verschiedenste Widrigkeiten, und es dauerte bis 1993 und der deutschen Erstaufführung in Nürnberg, um das Werk durchzusetzen. Seitdem wird es regelmäßig in Deutschland gespielt, nun auch in einer Produktion des Staatstheaters am Gärtnerplatz in Koproduktion mit der Oper Brno erstmals in München.

Frid hat als Libretto nur Texte aus dem Tagebuch verwendet und damit eine Monooper für eine Sopranistin und Kammerensemble geschaffen. Anne erzählt, wie ihr Versteck aussieht, die Ängste entdeckt zu werden, die Aufmärsche, die sie draußen beobachten kann, von ihrem Freund Peter und über die Menschheit und Gott; die naive Weisheit einer Vierzehnjährigen. Das Bühnenbild von Daniel DVORÁK ist ein schief stehender Setzkasten mit vier Fächern, der die Enge von Annes Leben nur noch betont, darin schreibt sie ihre Wünsche mit Kreide an die Wand. Dvorák verzichtet darauf, Thérèse WINCENT als optisches Double von Anne zu trimmen, deren Bild ja in aller Welt bekannt ist, sie spielt mit blondem Langhaar.

Die Regie von Heinz LUKAS-KINDERMANN ist sparsam, er läßt den Texten und der Musik absolute Priorität. Frids Musik ist immer dicht am Inhalt des Tagebuchs, mal als Tanz, mal als Marsch, erinnert sie an Schostakowitsch in ihrem vielseitigen Gebrauch der Stile und der variantenreichen Rhythmik. Das Kammerensemble, bestehend aus zehn Musikern des ORCHESTERs DES STAATSTHEATERS AM GÄRTNERPLATZ unter Oleg PTASHNIKOV belebt diese Klänge eindringlich, deckt aber die Sängerin nie zu.

Kann eine Oper den Grauen einer solchen Biographie mitten im Holocaust gerecht werden? Frid wählt kleine Töne, das kleine Leben, das Grauen im Wissen um das Schicksal der Heldin, ein junges Mädchen von Thérèse Wincent mit vielen Schattierungen eindrucksvoll dargestellt. An das Ende gemahnt das letzte Bild, in dem Anne in gleißend weißes Licht entschwindet. Nur die Musik hat das letzte Wort. KS