"MALDOROR" - 27. April 2010

Die Eröffnungspremiere der 12. Münchener Biennale für neues Musiktheater übernahm Philipp Maintz mit der Uraufführung seiner Oper in sieben Bildern "Maldoror" nach den "Les chants de Maldoror" von Isidore Ducasse. Ducasses Text konnte 1869 zunächst nicht veröffentlicht werden, da der Verleger Ärger mit der Zensur befürchtete. Und wohl nicht zu Unrecht, strotzt der Text doch von Szenen, die sich in jedem Splatter-Movie gut machen würden: Schändungen, Inzest und Kannibalismus, um nur einige zu nennen.

Zuviel des Bösen für eine Oper? Nein, wenn man damit umzugehen weiß. Maintz und sein Librettist Thomas Fiedler haben sich frei bei Ducasse bedient, haben die französische Sprache so übernommen, aber das Stück neu entworfen. Hier tritt der Autor mit seinem Pseudonym Lautréamont auf, trifft auf seine Figur Maldoror. Beide wandern durch die Welt, begleitet und kommentiert von der Voix de soprano. Stellvertretend für die vielen Opfer Maldorors steht in der Oper eine Familie, Vater, Mutter und Kind.

Eine ganz reduzierte Form, auf die sich auch Regie und Bühnenbild einlassen. Die Bühne (Roland AESCHLIMANN) ist auf ganzer Breite von dünnen Käfigstangen durchzogen, die am Ende beinahe einem Hamsterlaufrad ähneln. Keiner kann da wirklich raus. Über die Stangen und den dunklen Hintergrund läuft die gesamte Zeit der französische Text mit, am Ende rückwärts, sich zu einem atemberaubendem Tempo steigernd. Auch die Regie von Georges DELNON und Joachim RATHKE verzichtet auf äußere Brutalität, beinahe scheu geschieht der Mord am Kind hinter einem vorgezogenen Tuch. Jede platte Anbiederung an das zur Zeit leider so aktuelle Thema Kindesmißbrauch findet dankenswerter Weise nicht statt.

Maintz' Musik dagegen findet selten Ruhe, baut die Spannung auf, die auf der Bühne bewußt vermieden wird. Sie pulsiert, drängt, ist aber immer auf den Punkt, was vom SINFONIEORCHESTER AACHEN und seinem GMD Markus R. BOSCH eindrucksvoll präsentiert wird. Ein Kontrast dazu die Gesangsführung. Hier kreiert Maintz Linien, wie man sie selten in der zeitgenössischen Oper hört, wohl inspiriert durch den Klangfluß der französischen Vorlage mit oft fließenden Übergängen von melodiösem Sprechen zum Gesang.

Davon profitiert z. B. Marisol MONTALVO als Voix de soprano, die einen lyrischen Kontrast zu den beiden Baritonen von Otto KATZAMEIER als Lautrémont und Martin BERNER als Maldoror bietet. Besonders beeindruckend auch die Szene, in der das Kind (ein überragender elfjähriger Julius SCHNEIDERS) mit einer kleinen Melodie gegen den dunklen Maldoror und das pulsierende Orchester singen muß. Am Ende siegt der Tod, auch die Eltern (Leila PFISTER und Lasse PENTTINEN) überleben den Wettstreit um die größte Bosheit nicht.

Als Coproduktion geht die Inszenierung weiter nach Aachen und Basel. und man kann nur hoffen, daß das erst der Anfang ist. KS