"DIE QUELLE" - 9. Mai 2010

Eine Begegnung mit einer völlig anderen Kultur und dennoch ein Thema, das universell ist, erwartete die Zuschauer bei der Münchener Biennale in der Premiere von Lin Wangs "Die Quelle". Die Chinesin bearbeitet darin einen Text ihrer Landsmännin Can Xue, einer Dichterin, die zurückgezogen in China lebt und Geschichten verfaßt, die immer auch um sie selber kreisen. Allerdings nicht nur.

"Die Quelle" ist die Geschichte der fünfunddreißigjährigen Frau Jian Yi in der Phase der Abnabelung und Selbstfindung. Abnabelung von den Vermietern, und damit der Großelterngeneration, vom Boß mit seinen Anforderungen, aber auch von Dingen in sich selbst, die Ausdruck finden in Figuren wie dem Metzger, der für die Sexualität steht, einem Frosch oder einem Telefon. Man sieht schon, die Grenzen zum Surrealen sind immer fließend, es entsteht ein Sog mit vielen Facetten. Diesen Sog mit einem ständigen Perspektivwechsel fängt der Raum von David SCHNELL geradezu perfekt ein. Die Bühne des Carl-Orff-Saals bekommt eine optische Tiefe, die verwirrend ist, gleichzeitig wirken die Personen mal winzig, mal riesig, je nachdem an welcher Stelle in dieser Spirale sie gerade agieren. So wird die Bühne zum weiteren Faktor in den Auseinandersetzungen der Figuren, und Regisseur Andreas BODE spielt in seiner Personenregie dieses Blatt voll aus. Das Ziel aller Suche ist die Quelle, die es gibt oder eben auch nicht.

Die Musik von Lin Wang bedient beide Kulturen, mit denen die Komponistin in Berührung gekommen ist. Die westliche mit klassischer Besetzung, wenn auch verstärkt im Schlagzeug und bei den Bläsern, vertreten durch das MÜNCHENER KAMMERORCHESTER unter seinem Leiter Alexander LIEBREICH, und die östliche durch zwei Soli einmal der Sheng (gespielt von Wu WEI) und einmal von Sheng und Sanxian bzw. Guzheng (gespielt von Xu FENGXIA), letzeres klingend wie eine freie Jazzimprovisation, dadurch wiederum den Bogen schlagend.

Am Premierenabend fiel die Sängerin der Jian Yi Steffi LEHMANN wegen Stimmproblemen aus. Sie spielte die Partie, und Nadine LEHNER sang die Rolle vom Bühnenrand. Hut ab, vor dieser Leistung, eine Uraufführungspartie innehalb kürzester Zeit einzustudieren, zumal die Gesangsführung der Komponistin, den Text in Englisch singen zu lassen, aber mit chinesisch anmutender Stimmführung, nicht alltäglich ist.

Auch die anderen Partien waren gut besetzt mit Barbara BUFFY als Landlady und White woman, Loren LANG als Landlord, Christian HÜBNER als Boß, Bernhard LANDAUER als Telefon und putziger Frosch und Schauspieler Uwe KRAMER als Lao Mai der Metzger. Sogar die Komponistin war als Stimme der jungen Jian Yi vom Band zu hören.

Ein Stück, das viel Raum läßt zum Weiterdenken, vielleicht fast ein wenig zu viel. KS