"AMAZONAS" - 10. Mai 2010

Das aufwendigste Projekt der diesjährigen Münchener Biennale für neues Musiktheater, wenn nicht das aufwendigste der Biennale bis dato überhaupt, ist ein dreiteiliger Abend, der sich mit der Region um den südamerikanischen Fluß Amazonas beschäftigt. Ein Fluß als Figur einer Oper? Bei Rimsky-Korsakovs "Sadko" geht dies in Form eines Märchens. Aber ein Märchen hatten die Macher hier nicht im Sinn.

Es geht um die Bedrohung von Lebensraum, von den Verflechtungen der westlichen Welt mit der der Bewohner der Amazonasgegend, um Wechselbeziehungen, um Verantwortung. Und dies als Thema einer Oper?

Jeder der drei Teile steht erst einmal für sich. Der erste widmet sich den Europäern, die im 16. Jahrhundert die Gegend entdeckten und ausbeuteten. Klaus Schedl schrieb hierzu seine Musik "Tilt", perkussiv, laut, agressiv, vom Ensemble PIANO POSSIBILE unter Leitung von Heinz FRIEDL noch elektronisch verstärkt dargeboten. Drei Darsteller prägen das Bild in der Inszenierung von Michael SCHEIDL. Drei Leinwände zeigen Gesichter, hinter denen manchmal der gesamte Mensch durchscheint. Moritz EGGERT, Mafalda DE LEMOS und Christian KESTEN deklamieren, singen rufen, schreien Texte von Sir Walter Raleigh, dem Eroberer im Dienste von Königin Elisabeth der Ersten von England. Die Begegnung mit dem Fremden, das fasziniert, aber um jeden Preis niedergerungen und beherrscht werden muß. Der Fokus auf den Gesichtern der intensiv agierenden Darsteller schlägt in den Bann, der Text berührt in seiner Zwiespältigkeit, die Musik bleibt Kulisse.

Der zweite Teil firmiert unter dem Titel "A Queda do Céu" (Der Einsturz des Himmels). Zunächst hört man im dunklen Bühnenraum Stimmen über Verstärker, deren letzliche Botschaft die bekannte Weissagung der Cree "Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet ihr merken, dass man Geld nicht essen kann" in eigenen Worten ausdehnt. Nichts Neues also. Danach sind die Zuschauer eingeladen, einen Raum zu betreten, der das Gefühl des Regenwaldes vermitteln soll. Ein aussichtsloses Unterfangen, welches in Bezug auf Licht (Bühne Nora SCHEIDL) und Klang (Tato TABORDA) vielleicht noch funkioniert, aber die übrigen Sinne zwangsläufig vernachlässigt. Wie soll man die riesige Weite, die Gerüche, die Hitze und die Feuchtigkeit, alles essentielle Bestandteile des Regenwaldes in die Münchner Reithalle bringen? So ähnelt das Gefühl eher dem Gedränge auf dem Viktualienmarkt und der sicher gut nachempfundene Lärm belästigt eher, als daß er fasziniert.

Als auch dieser Teil vorbei ist und der Abend noch den dritten Teil vorbereitet, der die gesamte Aufführung auf vier Stunden bringen wird, ist die Erschöpfung zu groß, die Muße, sich auf eine "Amazonas-Konferenz. In Erwartung der Tauglichkeit einer rationalen Methode zur Lösung des Klimaproblems" einzulassen (bei der Rezensentin) nicht mehr gegeben.

Vielleicht gelingt echtes Einfühlen ja doch nur über Symbole wie die Märchen bei Rimsky-Koraskov, und Projekte wie dieses, die viel Energie und Geld kosten, verpuffen letzlich vor den Menschen. KS