"TURANDOT" - 7. Dezember 2011

Diese Neuinszenierung an der Bayerischen Staatsoper ist ein Monumental-Event und zeigt China als alleinige Weltmacht im Jahre 2046 auf, Europa ist durch dessen Schuldenaufkauf (sehr aktuell) quasi nicht mehr existent. Das demonstriert ein übergroßes plastisches Auge, das unterstützt durch ca. 2000 3-D-Brillen, die vor Beginn dem Publikum überreicht werden (werden dadurch die Opernkarten teurer?) und die dadurch dieses Weltauge plastischer erscheinen lassen.

Diese nicht von der Hand zu weisende Inszenierungs-Idee stammt von Carlus PADRISSA in Verbindung mit LA FURA DELS BAUS. Dieses alles registrierende plastische Auge der Weltmacht (in ihm wohnen zusammengepfercht in winzigen Räumen Menschen aller Nationen) wurde in einen Eispalast eingefügt, in dem Turandot als Weltherrscherin lebt. Ihre durch eine Vergewaltigung einer Vorfahrin entstandene Gefühlskälte und Abneigung Männern gegenüber konnte dadurch sehr deutlich zum Ausdruck gebracht werden. Sie setzt alles daran, sich nicht den Gefühlen zu einem zukünftigen Ehemann zu unterwerfen und stellt deshalb die für die meisten Bewerber unlösbaren Fragen, deren Nichtbeantwortung dann zum Tode führen.

In einer Eisarena vor dem Palast im Jahre 2046 bewegen sich schlittschuhlaufende Henker, Eistänzerinnen wie man sie bei Events im Reich der Mitte ständig sieht, den Boden kehrende Roboter, und last not least ist auch Breakdance auf der Bühne, alles, um ein Festival für Hinrichtungen auszurichten. Insgesamt ein sehr gutes Aufzeigen der illusorischen Zukunft der Weltmacht China (Bühne Roland OLBETER). Da der Komponist persönlich das Werk durch seinen Tod nicht zu Ende komponieren konnte, hörte und sah man hier das Fragment, das mit dem Tod von Liú ihr Ende findet (Libretto von Giuseppe Adama und Renate Simoni nach Carlo Gozzi). Der gewohnte Schluß der Oper, zu Ende komponiert von Franco Alfano, es fehlte ja das Liebesduett Turandot/Calaf, war aber hier gut gelöst. Der schmelzende Eispanzer um das Herz Turandots durch ihre Annäherung zu ihrem ihr immer noch namentlich unbekannten Prinzen und zu dessen blinden Vater Timur, wie hier gezeigt, wirkte verständlich und ließ das happy end erahnen. Die Kostüme (Chu UROZ) allerdings waren im "alten" China angesiedelt und wirkten trotz des Jahres 2046 sehr historisch und dekorativ.

Zubin MEHTA dirigierte das ORCHESTER DER BAYERISCHEN STAATSOPER routiniert, dramatisch und in gewohnter Bestform, so daß der abrupte Schluß der Oper nicht störte.

Die Protagonisten allerdings waren teilweise nicht rollengerecht besetzt. Jennifer WILSON als Turandot erschien in vielen Passagen überfordert, manche Töne kamen schrill und ungezeichnet, ebenso quälte sich Marco BERTI als noch namenloser Prinz in einigen Passagen sehr durch seine Partie, besonders in seiner letzten Arie "Nessun dorma" war dies erkennbar.

Ulrich REß als Imperatore Altoum sang diese Partie ganz ordentlich, während eine Idealbesetzung für den Timur Alexander TSYMBALYUK darstellte, der mit sonoren warmen Baßtönen diese Partie (hier im Rollstuhl sitzend) ausdrucksstark gestaltete. Den größten Erfolg konnte Ekaterina SCHERBACHENKO als Liú verbuchen, nahezu herzzerreißend gestaltete und sang sie diese Rolle mit höhensicheren warmen Soprantönen, fast sollte man durch den Schluß der Oper diese umbenennen in Liú. Gerade bei den ihren Tod auslösenden durch in den Körper dringenden Bambusstäben (hier erstach sie sich nicht) erbrachte sie bei ihrer letzten Arie besonderen Gefühlsausdruck.

Die drei chinesischen "Politiker" Ping (Fabio PREVIATI), Pang (Kevin CONNERS) und Pong (Emanuele D'AGUANNO) konnten stimmlich wie darstellerisch nicht besser besetzt sein, gefühlvoll und in bester stimmlicher Übereinstimmung das Terzett, als alle drei den Verlust ihrer Heimat in den verschiedenen chinesischen Provinzen beklagten. Der Mandarin von Goran JURIC kam rollengerecht herüber, ebenso die Kleinstrolle des persischen Prinzen von Francesco PETROZZI (war er es selbst, der da in der Luft schwebte?).

CHOR UND EXTRACHOR DER BAYERISCHEN STAATSOPER sowie der KINDERCHOR (Einstudierung hier von Stallario FAGONE) lag wieder in der bewährten Hand von Sören ECKHOFF. Man muß bei einem solchen Opernevent einmal die körperliche Höchstleistung einiger Statisten erwähnen, die als Akrobaten fungieren müssen, ebenso die sehr gute Abendleistung der chinesischen Tänzerin Yasha WANG.

Fazit: Kommt bei all diesem Getümmel und abendfüllenden Event nicht doch bei manchem Opernbesucher der Wunsch nach dem fehlenden musikalischen Ende von Franco Alfano auf? ISt