"JOSEPH SÜSS" - 3. März 2012

Im Jahre 1738 wurde in Stuttgart ein Mann hingerichtet, der sich Dinge zu schulden hatte kommen lassen, die andere am Hof des Herzogs auch begangen hatten. Gier, Machtstreben, Fälschung und Intrigen. Der Unterschied zu den anderen bestand darin, daß der Verurteilte Joseph Süß Oppenheimer Jude war. Und für einen solchen war es unverzeihlich, sich mit den Christen anzulegen. Die Geschichte des Jud Süß, wie er fortan hieß, ist bekannt. Sie gipfelte in dem gleichnamigen Nazi-Propaganda-Film von Veit Harlan. Nun war es nicht mehr wichtig, daß die Christen sich genauso verhielten. Süß wurde zu einem Abziehbild für den geballten Hass der Nazis.

Der Komponist Detlev Glanert (geb. 1960) rückt das Bild in seiner Oper "Joseph Süß" wieder zurecht. Nein, Süß ist kein Unschuldslamm, aber auch nicht schlechter als andere. Und wie er da in seinem Verließ aus Goldbarren sitzt (Bühne und Kostüme Peter SYKODA), über sein Leben reflektiert, aber nicht von der Gier lassen kann, ist beinahe aktuell.

Genauso wie die Judenwitze, die Regisseur Guy MONTAVON zu Beginn erzählen läßt, und die einem der Premierenbesucher doch tatsächlich ein herzliches Lachen entlocken. Die Zeitlosigkeit setzt sich im Bühnenbild fort. Zwar herrscht Barockkleidung vor, aber die Szene besteht aus dunklen bühnenhohen Stelen, die nichts von barocker Lebenslust und Machtentfaltung haben. Eine dunkle Epoche damals wie heute.

Eine barocke Figur dagegen ist der Herzog, feist und ohne Scham dargestellt vom alles gebenden Stefan SEVENICH. Er will Geld, egal woher, er will Frauen, egal welche, und er will Prunk. Da läßt man ein Opernhaus für die Geliebte (Karolina ANDERSSON mit vielen Koloraturen) bauen, ist aber gelangweilt, sobald es fertig ist. Ein schwieriges, aber ertragreiches Feld für die Hofschranzen. Als da ist Weissensee, Sprecher der Landstände und Christ. Seine Intrigen stehen denen des Juden Süß ist nichts nach, beide opfern jedes menschliche Gefühl, in diesem Fall ihre Töchter, für ihre Ziele. Mark BOWMAN-HESTER gibt den Weissensee als graue Eminenz, puritanisch gekleidet, aber mit dem Ohr an der Wand. Gary MARTINs Süß ist der aktivere von beiden, aber auch er ohne Selbstzweifel bis zum Schluß, trotz der Warnungen des treuen Magus (sehr gut Tobias SCHARFENBERGER), dem orthodoxen Lehrer der Tochter.

Die beiden jungen Frauen sind hier bloß Spielbälle der Männer. Magdalena, Weissensees Tochter, die Süß liebt (überzeugend Thérèse WINCENT), ihn aber nicht zur Flucht überreden kann trotz Schwangerschaft. Denn selbst der Tod der Tochter (mit schönen lyrischen Passagen Carolin NEUKAMM) nach Vergewaltigung durch den Fürsten kann Süß nicht stoppen. Ein Unsympath, den Gary Martin aber auch als weichen Mann darstellt, der in seiner Situation gefangen ist.

Glanerts Musik hat oft schroffe Klänge mit viel Schlagwerk. Mild wird es nur, wenn die jungen Frauen zu Wort kommen. Ihrem Schicksal gilt offensichtlich alle Sympathie. Roger EPPLE am Pult des ORCHESTERS DES STAATSTHEATERS AM GÄRTNERPLATZ weiß Akzente zu setzen und scharfe Linien zu zeichnen.

Gerade durch die dezente Zeitlosigkeit der Darstellung wird der Abend zu einer Mahnung, ohne den moralischen Zeigefinger und ohne historischen Plüsch. Eine gelungene Münchner Erstaufführung für dieses Werk. KS