"BABYLON" (Uraufführung) - 10. November 2012

Neun Jahre nach der Uraufführung seiner Oper "Das Gesicht im Spiegel" im Cuvilliés-Theater überließ die Bayerische Staatsoper dem Komponisten Jörg Widmann (geb. 1973) nun das große Haus für sein neues Werk. Und damit auch alle technischen und musikalischen Möglichkeiten, die dieses bietet.

"Babylon" heißt die Oper, und das Libretto stammt von keinem geringeren als dem Philosophen Peter Sloterdijk. Dieser versucht sich an einer Mischung aus ergreifender Liebesgeschichte à la Orpheus und dem großen mythologischen Überbau mit Turmbau und Sintflut.

Tammu steht zwischen zwei Frauen. Der Seele, mit der er brüderlich verbunden ist, und der Priesterin Inanna, die für freie Liebe und Wollust steht. Inanna gewinnt ihn für sich, verliert ihn aber durch ein Opferritual an den Tod. Als nun wirklich Liebende begibt sie sich in die Unterwelt, um ihn zurückzuholen. Das gelingt ihr, und nachdem der babylonische Turm zusammengebrochen ist, eine neue Weltordnung sich im Entstehen befindet, verlassen die Liebenden in einem Raumschiff die Erde.

Die sieben Bilder, in denen Babylon erzählt wird, bieten reichlich Stoff für die Regie von Carlus PADRISSA - LA FURA DELS BAUS. Immer wieder werden Türme errichtet (Bühne Roland OLBETER), großflächige Videoprojektionen überblenden die Szene, Tierfiguren werden zitiert, Kostüme leuchten im Dunkeln (Kostüme Chu UROZ) und unzählige Statisten bevölkern die Bühne. Ein Ansturm auf die Sinne, der selten Ruhe bietet, aber dennoch fasziniert.

Was aus dem Graben kommt steht dem in nichts nach. Widmann läßt spätromantische Fülle erklingen, in einem Orchesterapparat, der sich bis in die Seitenlogen erstreckt. Viel Schlagwerk, aber auch Harfen, Akkordeon, Celesta, Klavier und Orgel. Und auch die Stimmführung erinnert zuweilen an Schreker oder Zemlinsky. Dabei schreckt Widmann weder vorm Volkstümeln zurück (in München steht ein Hofbräuhaus), noch verweigert er sich dem Kitsch, im wiederkehrenden Liebesduett von Inanna und Tammu. Kent NAGANO und sein BAYERISCHES STAATSORCHESTER beherrschen jede Nuance dieser Musik, besser kann man das kaum spielen.

In den überbordenden Bildern bleibt den Sängern oft nur eine gewisse Statik. Das tut der Leistung allerdings keinen Abbruch. So gelingen Anna PROHASKA als Inanna lyrische Passagen, zauberhaft betörend in ihrem Diskurs mit Schwester Tod, wunderbar dekadent urig von Willard WHITE dargeboten, der auch den Priesterkönig singt. Claron MCFADDEN als Seele mit ihrer enorm hohen Partie leistet Beeindruckendes, Jussi MYLLYS als Tammu tut sich bei so viel Frauenpower schwer.

Gabriele SCHNAUT als Euphrat leidet darstellerisch sichtlich unter der ihr auferlegten Bewegungslosigkeit, so wie August ZIRNER als Ezechiel in schwingender Höhe an Höhenangst. Kai WESSEL als Skorpionmensch fällt positiv auf, wie auch der CHOR DER BAYERISCHEN STAATSOPER einmal mehr Hervorragendes leistet.

Nach knapp dreieinhalb Stunden bleibt ein etwas disparater Eindruck zurück. Rauschende Bilder, füllige Musik, tolle Stimmen und dennoch, irgendwas fehlt. Vom Publikum gab's lang anhaltenden Applaus bei dieser vorerst letzten, ausverkauften Vorstellung. KS