"MOSKAU, TSCHERJOMUSCHKI" - 12. November 2006

Er hätte in diesem Jahr mit Mozart beginnen können. Aber Markus Müller, neuer Generalintendant im Staatstheater Oldenburg, hat sich bei seinem Einstand mit Schostakowitsch für einen anderen Jubilar entschieden. Und mit "Moskau, Tscherjomuschki" auch noch für ein überaus selten gespieltes Werk.

Das Stück läßt sich nicht einordnen. Ist es eine Operette, eine musikalische Komödie oder gar eine Art Musical in Stil eines Stephen Sondheim? Vielleicht hat gerade diese Schwierigkeit den Siegeszug verhindert, den das Werk nach seiner Uraufführung 1959 in Moskau verdient hätte. Dabei hat "Moskau, Tscherjomuschki" alles, was gutes Musiktheater ausmacht oder machen kann. Eine (leider) zeitlose Geschichte, Liebesleid und -lust, eingängige Melodien, gebrochene Walzerseligkeit, Tempo und Tiefsinn.

Die hoffnungslose Wohnungsnot in Moskau soll bekämpft mit einem Neubauprojekt, mitten in der Peripherie, geplant am Reißtisch. Trotzdem gibt es in ihrer Not viele Anwärter, nur als die vor Ort ankommen, treffen sie auf den grantigen Hausmeister, der die Schlüssel nicht herausrückt, kleine zellenartigen Wohnungen, die bei Bedarf von den Reichen annektiert werden, oder die bei der ungeplanten Einweihungsparty gleich ganz zusammenbrechen. Am Ende bleibt den Bewohnern nur ihr Zaubergarten, der zwar kein Dach über dem Kopf bietet, aber eine lebenswerte Umgebung darstellt, in der nicht gelogen und leer geredet werden kann, kurz Utopia.

Regisseur David HERMANN und seine Ausstatter Thomas GEORGE und Christof HETZER zeigen Menschen, die schon im Vorhinein die Wabenform annehmen, die ihre späteren Wohnungen prägt. Alle in Weiß und mit den holprigen Bewegungen der Teletubbies. Mit diesen Menschen kann man alles machen. Nicht so mit den Protagonisten: mit Sascha und Mascha, die zwar seit sechs Monaten verheiratet sind, aber noch keine gemeinsame Wohnung haben, mit Ljusja, die eifrig mitbaut und dabei fast die schüchternen Liebesbekundungen von Sergej übersieht. Mit Boris, der endlich eine Frau finden will, und dabei auf Lidotschka trifft, die, obwohl sie mit ihrem alten Vater lebt, auch sucht. Oder mit Architekt Drebedjow, der seine junge Frau Wawa nur mit einerVier-Zimmer zufrieden stellen kann.

Olaf WIEGMANN und das OLDENBURGISCHE STAATSORCHESTER gelingt es an diesem Nachmittag jede Jahrmarktplattitüden zu vermeiden und Schostakowitschs Musik fein ausdifferenziert zu präsentieren. Ein Genuß, dieser ständige Wechsel zwischen schnellen Tempi und leisen Liebesliedern. Nur mit dem Tanzen tut sich Regisseur Hermann schwer. Vielleicht war das ihm doch zu nah an der Operette.

Die Sänger, allen voran Urgestein KS Fritz VITU als fieser Hausmeister, aber auch Daniel OHLMANN als schüchterner Sergej, Irina WISCHNIZKAJA als seine Angebetete, beide stimmlich sehr souverän, James BOBBY, Mareke FREUDENBERG, Nathalie SENF, KS Bernard LYON, Katerina HEBELKOVA und Paul BRADY überzeugten als Ensemble.

Ein gewagter aber sehr gut gewählter Einstieg für den Intendanten, der mit Werken von Adams, Kagel und Poulenc ein großes Gewicht auf modernes Musiktheater legen wird. Hut ab. KS