"LES TROYENS" - 15. Oktober 2006

Berlioz' große mythologische Oper "Les Troyens" ist wohl eines der schwierigsten Werke der Opernliteratur. Oft fälschlich mit Wagners "Ring" verglichen (nur weil es lang ist?), basiert Berlioz auf der "Äneis", von Vergil als patriotisches Epos auf die Größe Roms und Caesar Augustus' geschrieben. Daß Berlioz' Adaptierung und Vertonung dieses "politisch korrekten" und etwas pompösen Texts gerade mit dem Höhepunkt der Regierung Napoleons III. zusammenfällt, ist vielen Beobachtern nicht entgangen.

Auch nicht dem Regisseur Herbert WERNICKE, der den 2. Teil ("Les Troyens à Carthage") in einen etwas protzigen Dekor eben der Zeit Napoleons III. versetzt hat, mit Champagner-Empfang mit Ordensverleihung in Frack und großen Abend-Toiletten. Seine Salzburger Produktion von 2000 wurde nun in Paris zum Gedenken an den vor zwei Jahren verstorbenen Regisseur und Dekorateur von seinen Assistenten wieder aufgebaut. Der Einheitsdekor besteht aus einem riesigen weißen Halbrund mit einem engen Eingang in der Mitte und ist recht eindrucksvoll. Hinter dieser Aussparung sieht man verschiedene Versatzstücke vorbei ziehen, u.a. das enorme hölzerne Trojanische Pferd, eine riesige Didonskulptur am Schluß, aber auch einen recht kitschigen Sternenhimmel für "Nuit d'ivresse".

Der Boden davor ist etwas schräg, und die Sänger stelzen bisweilen vorsichtig herum. Anscheinend war das gewollt, um die unsichere Situation aller Protagonisten anzudeuten. Jedenfalls ist die Übertragung in eine utopische Jetztzeit nicht sonderlich geglückt. Die Trojaner sind ganz schwarz mit roten Handschuhen gekleidet und mit Kalachnikovs bewaffnet. Die Karthager tragen dafür blaue Handschuhe statt roten. Sie unterscheiden sich von den Griechen im Camouflage-battledress mit amerikanische Maschinenpistolen. Ein bißchen einfach!

Musikalisch war die Aufführung ganz gut, aber nicht umwerfend. Die tragende Figur war natürlich Deborah POLASKI in der Doppelrolle der Cassandra und Didon. Sehr eindrucksvoll ist, wie sehr diese große Sängerin den musikalischen Stil und die französische klassische Tragödie aufgenommen und verstanden hat und wie ausgefeilt Polaski die schwierige Stimmführung Berlioz' beherrscht. Ihre Phrasierung ist perfekt und ihre Aussprache sehr gut. Von ihrem Enée, Jon VILLARS, kann man das leider nicht behaupten. Er hat zwar enormes Material, aber absolut keine Gesangskultur. Von den Subtilitäten des französischen Kunstgesangs hat er keinen blassen Dunst. Er "röhrt" alles fortissimo, vor allem in den Höhen, wenn er nicht falsettiert (im Liebesduett"Nuit d'ivresse", dem Höhepunkt des Carthago-Aktes). So sangen vor 40 Jahren Beirer, Aldenhoff, Chauvet und manchmal del Monaco. Zum Glück hat er die großen Intervallsprünge gestrichen. Eine Zumutung!

Die kleineren Rollen waren durchweg gut bis ausgezeichnet besetzt. Franck FERRARI, meist in Bösewichter-Rollen besetzt, sang einen subtilen Chorèbe und war im Duett mit Cassandre von perfekter Dezenz. Sein "Reviens a toi" an Cassandre war von berückender Intensität. Im Karthago-Akt stach Elena ZAREMBA als kuppelnde Schwester Anna mit ihrem gut geführten Mezzo hervor. Kwangchul YOUN, auf salbungsvolle Baß-Rollen abonniert, war ein perfekter Minister Narbal, der mit profundem Baß immer nur Unheil ankündigt.

Bernard RICHTER war ein schön singender Poet Hylas. Gaelle LE ROI, mit Pfeil und Bogen, war ein eifriger und hübsch singender Ascagne. Nicolas TESTÉ sang in beiden Teilen sehr eindrucksvoll den Panthée, Frédéric FORCADE den unheilbringenden Schatten Hectors. In kleineren Rollen waren Nikolai DIDENKO (Priam/trojanischer Kapitän), Frédéric CATON (griechischer und trojanischer Kapitän), Anne SALVAN (Hecube/Fantome der Cassandre) rollendeckend. Dorte LUSSEWSKI gab der stummen Rolle der Andromache würdige Trauer mit Söhnchen Polyxenes (Carol NOIZET).

Wenig überzeugend war wieder das Dirigat von Sylvain CAMBRELING, der zwar in den Märschen und Kriegsszenen die nötige "Stimmung" brachte, die lyrischen Stellen jedoch völlig verschlief. Selbst die "Chasse Royale" in Carthago-Akt war unaufregend. Einzig die Streichung der Ballette war ein Segen. Selbst der von Peter BURIAN einstudierte CHOR war bisweilen nicht im Takt! Für die verbreitete Langeweile wurde Cambreling auch mit Buh-Rufen beim Schlußvorhang begrüßt, während Polaski einen Triumph feierte, und die meisten Sänger großen Applaus erhielten. wig.